Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
anzubieten, ohne gleich ganz auszupacken. Das war seine dürftige Strategie: Er würde ihnen erklären, wie er zu Qazai in Beziehung stand, und herauszufinden versuchen, was sie von ihm wollten, und sich dann etwas überlegen – wenn nötig ausdenken –, das er ihnen anbieten konnte und was es erforderlich machte, dass man ihn aus dem Gefängnis ließ. Das war nicht viel, doch für einen kurzen Moment fühlte er sich besser. Er hatte ein Ziel, einen Hoffnungsschimmer.
Jetzt, wo er sich überlegt hatte, wie er vielleicht überleben konnte, dachte er darüber nach, was passieren würde, falls es doch nicht klappen sollte. Webster war kein Feigling. Der Gedanke an den Tod machte ihm keine Angst. Sollte der Tod eine Bedeutung haben – sollte ein Teil von ihm danach weiterleben –, hatte seine religiöse Erziehung genug Einfluss gehabt, um darauf zu vertrauen, dass der Vorgang harmlos war; und sollte der Tod keinerlei Bedeutung haben, wäre er nicht mehr da, um diese zu vermissen. Nein, der Übergang zwischen zwei Zuständen beunruhigte ihn nicht, aber es fiel ihm schwer, sich ein Leben nach dem Tod vorzustellen, das nicht von tiefer Trauer erfüllt war über das, was man hatte zurücklassen müssen. Er konnte es vielleicht akzeptieren, nicht mehr zu existieren, aber nie wieder seine schlafenden Kinder zu betrachten, sich nie wieder mit Elsa im Bett zu unterhalten oder mit dem Boot im Regen zur Flussmündung zu fahren … Er war sich nicht sicher, was noch von ihm übrig sein sollte, wenn man ihm all das wegnahm.
Aber sogar das war noch ziemlich nachsichtig. Mit einem düsteren Lachen, voller Speichel und Blut, akzeptierte er die einzige Gewissheit, die er hatte, auch wenn sie ernüchternd und beschämend war: dass er in Wahrheit, trotz seiner Leidenschaft und der Liebe für seine Familie und trotz seiner Bemühungen, das Richtige zu tun, seit Monaten ein solches Ende heraufbeschworen hatte. Voll makabrem Vergnügen hatte er mit einer Existenz geliebäugelt, in der ihn alles, was ihm lieb und teuer war, ohne die Hilfe Qazais oder seiner Feinde zurückweisen würde.
Er probierte es an der Tür, doch sie war verschlossen. Durch die vier Stäbe eines einzelnen winzigen Fensters konnte man sehen, dass es draußen noch dunkel war. Für ein, zwei Minuten fragte er sich, wie er wohl von hier abhauen könnte: Er musste jemanden dazu bringen, die Tür zu öffnen, ihn überwältigen und dann losrennen. Aber es hatte sich gezeigt, dass niemand auf seine Rufe reagierte, und rennen würde er schon mal gar nicht. Er konnte kaum stehen.
Eine Stunde verging. Zu ihm drang kein einziges Geräusch; die Stille war so vollkommen, wie das Licht unerbittlich war. Er hatte seit acht Stunden nichts getrunken, und obwohl es Nacht war, hatte sich der Raum kein bisschen abgekühlt. Langsam krümmte er sich und zog an der Robe, schaffte es, sie bis zur Hüfte hochzuziehen und unter großen Schmerzen weiter über den Kopf. Sein Hemd war überall dunkel vom Schweiß, und sein Mund war so trocken, dass es ihn einige Mühe kostete, seine Lippen auseinanderzureißen. Er legte sich auf den Boden und sah dabei zu, wie ein Käfer geräuschvoll über die entfernte Wand krabbelte, und mit der zusammengefalteten Robe unter dem Kopf versuchte er zu schlafen, doch jedes Mal wenn er die Augen schloss, flackerte vor ihm eine kurze Abfolge von den Ereignissen des Tages auf, sodass er nicht zur Ruhe kam.
Gegen vier wurde ein Schlüssel im Schloss herumgedreht, und die Tür öffnete sich. Als Webster sich aufsetzte, war das Erste, was er sah, eine große Flasche Mineralwasser, die von den Händen einer Person am Verschluss festgehalten wurde; das Zweite, während er aufschaute, war Senechal, akkurat in einen frischen Anzug gezwängt, sein Gesicht schimmerte unter der Leuchtstoffröhre durchsichtig. Als käme er aus einer anderen Welt, blickte er auf Webster hinab, schloss sie Tür hinter sich, rümpfte die Nase, ging ans hintere Ende des Tisches und fing an, den Stuhl mit einem Taschentuch, das er aus der Brusttasche seines Jacketts gezogen hatte, abzuwischen. Nicht mehr ganz so angewidert nahm er Platz. Hinter ihm wurde die Tür verriegelt.
» Asseyez-vous. «
Es war dasselbe dünne Krächzen, aber seine Stimme klang jetzt nicht mehr liebenswürdig, und auch nicht mehr durchtrieben. Webster musterte ihn, am Boden liegend, misstrauisch und versuchte herauszufinden, warum er hier war und was seine Anwesenheit in Gottes Namen zu bedeuten hatte. Er wusste
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