Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
Senechal, stand ein Mann im Anzug – er sah aus wie der Gefängniswärter. Er stellte den Fuß auf Senechals Schulter und schaukelte den bäuchlings daliegenden Körper hin und her, dreimal, dann richtete er sich auf und spähte in die Nacht hinaus, suchte ein letztes Mal die Gegend ab. Webster drückte sich erneut flach auf den Boden. Außer dem Motor im Leerlauf war nichts zu hören, bis die Wagentür zugeschlagen wurde und der Wagen knirschend über den Sand langsam davonfuhr und, sobald er die Straße erreicht hatte, rasch beschleunigte.
Webster wagte es immer noch nicht, sich zu bewegen. Er lag in der Nacht und atmete. Er glaubte zu erkennen, dass in einer Ecke des Himmels das Schwarz einem Mitternachtsblau Platz machte. Auf der Straße fuhren zwei Autos vorbei, sonst herrschte Stille. Er hielt seine Uhr ans Ohr, zählte die Sekunden und versuchte, in den gleichmäßigen Rhythmus des Tickens zu verfallen, doch sein Kopf war von Schmerzen und neuerlichen Sorgen erfüllt. Er musste wissen, ob der Mann, der hundert Meter von hier im Sand lag, tot war.
Nachdem er fünf Minuten gezählt hatte, drehte er sich auf den Bauch und robbte nach und nach die Düne hinauf. Im Scheinwerferlicht eines vorbeifahrenden Lastwagens konnte er das Auto erkennen, das ihn hergebracht hatte, sonst nichts.
Mit der kleinen Pistole in der Hand lief er zu ihm und rechnete mit einem Schuss oder einem Lichtblitz. Sein Herz wollte einfach nicht langsamer schlagen. Senechals Körper lag reglos da, seine Wange war mit einer dicken Blutschicht beschmiert, und ein paar Sekunden lang stand Webster über ihm und wagte es nicht, sich Gewissheit zu verschaffen. Dann kniete er sich hin, fühlte unter der Manschette nach dem Puls und wurde schließlich fündig, er war immer noch so schwach wie eben.
Er suchte den Wagen ab, fand aber außer dem Wasser – zwei kleine Flaschen – nichts Nützliches. Eine trank er in einem Zug aus, die andere behielt er.
Plötzlich fiel ihm etwas ein. Er hatte weder Geld noch ein Handy, gar nichts. Er schleppte sich über den Sand und tastete Senechals Jackett ab, steckte seine Hände in die Taschen. Da war eine Brieftasche, mit Euros, Pfund und Dirhams. Er zog ein paar Dirham-Scheine heraus. Den französischen Pass und ein BlackBerry, das auf jeden Fall gesperrt war, ließ er da. Aber ein zweites Handy, ein billiges Samsung, nahm er an sich.
Einen Moment lang stand er da und betrachtete die Pistole, überlegte, wie viele Schüsse er abgefeuert hatte und ob sie ihm nützlich sein konnte, bevor er sie sorgfältig an seinen Hemdzipfeln abwischte und neben Senechal legte.
Das Handy hatte noch Strom, aber kein Netz. Er rief die kürzlich gewählten Nummern und das Adressbuch auf: Dort stand nur eine Nummer. Vier Anrufe waren rausgegangen, sieben angenommen worden, alle Gespräche mit derselben Nummer. Vielleicht hatte Senechal doch seine eigenen Vorkehrungen getroffen.
Webster lief nach Osten, Richtung Dämmerung, in der einen Hand eine Wasserflasche, die andere bereit, um das nächste Auto anzuhalten.
Kamila spülte den Lappen erneut unter dem Wasser aus, es war jetzt braun von Websters Blut, säuberte die Wunde, zog behutsam die Haare auseinander und wandte sich dann an Driss.
»Hol frisches Wasser und einen neuen Lappen.« Sie schaute zu Webster hinunter, der ohne Hemd auf einem Hocker saß. Von seinen Rippen auf der linken Seite hatte sich ein dunkelvioletter Bluterguss, durchzogen von Grün und Gelb, ausgebreitet, hoch bis zur Achselhöhle und runter bis zur Hüfte; bestimmt war an der Stelle, wo man ihm das Knie in den Oberschenkel gerammt hatte, ebenfalls einer. Er atmete immer noch flach, und sein Schädel fühlte sich an, als wäre er mit Bändern voller Nägel umwickelt. Kamila hatte ihm einen süßen Pfefferminztee gemacht, und mit seinem gesunden Arm nahm er die Tasse und trank davon.
»Das nenn ich Rundum-Service«, sagte er, schaute zu ihr hoch und lächelte, nicht ohne Mühe.
»Du musst ins Krankenhaus.«
»Ich habe mir eine Rippe gebrochen. So was hatte ich schon mal. Ich war zwölf, da ist uns jemand in die Seite gefahren. Normalerweise heilt es von selbst. Es tut einfach nur weh.«
Kamila schnaubte. »Du könntest innere Blutungen haben.«
Webster sah, wie Driss mit der Schüssel Wasser zurückkam und verschmitzt lächelte, als wollte er sagen: Du hast keine Ahnung, mit wem du es zu tun hast.
»Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe«, sagte er.
»Ich stehe immer bei Sonnenaufgang auf«,
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