Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
Freund lachte und blätterte demonstrativ das Dokument durch.
Einen Moment lang musterte der Mann Webster kauend. Er hatte irgendetwas zwischen seinen Vorderzähnen, und jedes Mal wenn er zubiss, trat die Ader an seiner Schläfe hervor. »Es ist wirklich blöd, dass du mich nicht kennen. Nicht weißt, wer ich bin. Blöd für dich. Du hast keine Angst.« Er hielt inne. »Aber das solltest du. Wenn du mich kennen würdest.«
Diesmal war Webster es, der nicht antwortete. Er versuchte sich in Erinnerung zu rufen, dass dieser Mann bloß ein Gangster war, ein moderner Ganove, ein Nichts. Seinetwegen brauchte er keine Angst zu haben, sagte er sich.
Der Mann drehte den Kopf und nickte seinem Freund zu, worauf dieser seine Tasche öffnete, Websters Unterlagen darin verstaute und einen schwarzen Spiralordner herausholte. Webster verspürte in seinem Brustkorb ein eigenartiges Gefühl der Gelassenheit, eine ungewohnte dunkle Vorahnung, die er sich nicht erklären konnte.
»Bitteschön«, sagte der Mann und reichte Webster das Dokument. »Lesen.«
Der Text war auf Arabisch, wahrscheinlich auf Farsi. Webster blätterte nach hinten, zu einer vollgeschriebenen Seite, die er, abgesehen von seinem Namen in lateinischer Schrift am unteren Rand und ein paar über den Text verteilten Wörtern – Ikertu, Isaac Hammer, Cursitor Street –, nicht lesen konnte. Er blätterte eine Seite zurück und sah vier Fotos: eines von Ikertus Büro; ein weiteres, körniges, das aus einiger Entfernung mit einem Zoom aufgenommen worden war und zeigte, wie er am Morgen zur Arbeit erschien; das dritte, wie er Qazais Haus verließ; und das letzte, wie er und Hammer von Timurs Beerdigung aufbrachen. Webster, dessen Herz heftig pochte, blätterte die Seite um.
Bevor ihm richtig bewusst wurde, was dieses Dokument darstellte, hatte er es bereits begriffen. Eine kalte, pulsierende Angst breitete sich in ihm aus, und seine Schläfen wurden von einem Stechen durchzuckt. Er riss sich zusammen.
Es gab noch mehr Bilder: eines von Websters Haus an der Iffley Road; eines von Elsa auf dem Weg zur Arbeit; zwei von Webster, wie er die Kinder, eines links, eines rechts an der Hand, zur Schule und zum Kindergarten brachte. Auf der nächsten Seite ein Foto von Silke, die mit Nancy und Daniel aus der Schule kam, und daneben eine Aufnahme der drei auf dem Spielplatz in der Nähe ihres Hauses. Sämtliche Fotos waren mit Datum und Uhrzeit versehen.
Webster starrte sie eine Weile an. Er konnte sich nicht dazu überwinden aufzuschauen, denn man sollte nicht mitkriegen, wie entsetzt er war.
»Für dich gelten das Gleiche wie für Qazai«, sagte der Mann. »Eine Woche, wenn er mir dann das Geld zahlt, tu ich nur dir weh. Dauert es länger, deine Familie.«
Webster hob den Kopf und gab sein Bestes, sich nichts anmerken zu lassen.
»Ich gehöre nicht zu ihm.«
»Hier warst du mit ihm zusammen.«
»Nein.« Webster schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn mir etwas zustößt, wird die Öffentlichkeit von Ihnen erfahren. Überall wird Ihr Name auftauchen. Wenn Sie Ihr Geld kriegen, ist das hier vorbei.«
Der Mann sah ihn mit einem Lächeln an. »Ein Wort zu irgendjemand, und deine Familie ist nicht mehr sicher.«
Einen Moment lang fühlte Webster sich wie letzte Nacht in der Wüste, als er Senechals Kopf in den Händen hielt: Er wollte so lange auf den Schädel des Mannes einschlagen, bis er zerbröselte. Ihn würgen, bis seine blauen Augen herausquollen.
Der Mann beugte sich vor und sprach in einem gedämpften, merkwürdig vertraulichen Tonfall. »Du kennen mich nicht. Du kennen nicht mal meinen Namen. Versuch nicht, ihn herausfinden. Das wird schlimm enden. Für deine Familie.«
Er nahm Webster den Bericht wieder ab.
»Qazai verstehen das. Du auch?«
Mit unnachgiebigem Blick ergründete er Websters Augen, sein forschender Blick war so brutal wie die Prügel, die er ihm letzte Nacht verpasst hatte. Dann wandte er sich ab, nickte seinem Gorilla zu und verschwand, indem er seine Sonnenbrille wieder aufsetzte und mit kurzen, kräftigen Schritten in die Menschenmenge marschierte. Webster, der ihm hinterherschaute, hatte das Gefühl, als hätte man seinen Körper ausgehöhlt.
DRITTER TEIL
21
In Hammers Büro, hinter dem Schreibtisch zwischen den anderen Trophäen seiner Karriere, hing ein gerahmtes Zitat auf Chinesisch, das er von einem mexikanischen Klienten für den erfolgreichen Abschluss eines besonders schwierigen Auftrags bekommen hatte. Der Mexikaner war, laut Hammer,
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