Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
schüttelte den Kopf. »Nichts. In keinem der Krankenhäuser von Marrakesch liegt jemand mit diesem Namen.«
»Das ist nicht nichts.«
»Mag sein.«
»Wie sieht’s aus bei den Leichenschauhäusern?«
»Driss meint zu glauben, dass seit Freitag keine Ausländer reingekommen sind.«
»Manchmal verstehe ich dich nicht. Das sind gute Neuigkeiten.«
»Vielleicht. Ich habe nur lieber Gewissheit. Jedes Mal wenn ich meine Augen schließe, sehe ich sein Gesicht.«
Webster verschränkte die Hände hinterm Kopf und streckte sich und vergaß für einen Moment die Schmerzen in seiner Seite. »Also. Was machen wir jetzt?«
Hammer seufzte. »Glaubst du, sie sind hier?«
»Würde mich wundern, wenn sie nicht hier wären.«
»Okay. Falls wir sie aufspüren, könnten wir die Polizei anrufen und sagen, dass sich hier ein paar Terroristen rumtreiben.«
»Eine bessere Idee hast du nicht?«
»Womöglich sind sie bewaffnet.«
»Sicher. Vielleicht aber auch nicht.«
»Sicher.«
»Was machen wir also?«
»Keine Ahnung.«
»Wir haben eine Woche. Weniger als eine Woche.«
»Ich weiß«, sagte Hammer. »Jede Menge Zeit.«
24
Am Montagmorgen erwachte Webster lange nach Tagesanbruch, und über sich hörte er das leise Dröhnen von Flugzeugen. Hammer hatte ihm das Schmerzmittel seiner Wahl dagelassen, ein amerikanisches Präparat, das, wie er schwor, wirksamer war als irgendwelche schwach dosierten Medikamente aus London. Nachdem Webster Dean Oliver eingeschärft hatte, möglichst schnell zu arbeiten, hatte er am frühen Abend die Pillen eingeworfen und war in einen tiefen, intensiven Schlaf gesunken, aus dem er einfach nicht mehr aufwachen wollte.
Das Erste, was er wahrnahm, war der freie Platz neben ihm; er spürte es mehr, als dass er sich daran erinnerte. Irgendwie spürte er auch, bevor es ihm wieder einfiel, dass das Haus leer war. Während er so dalag, benebelt von den Medikamenten, merkte Webster, dass die Proportionen seiner Welt sich verschoben hatten, dass ihre empfindliche Harmonie gestört war, und er sah sich selbst taumelnd und unkontrolliert durch die Welt gleiten.
Er schlug die Augen auf und rappelte sich hoch, steif vor Schmerzen. Im Rachen verspürte er einen leichten Brechreiz; sein Kopf tat weh; und er konnte kaum seine Augenlider öffnen. So musste es sich anfühlen, dachte er, wenn man langsam vergiftet wird.
Die nächsten vier Wochen dürfe er nicht schwimmen, hatte der Arzt gesagt, aber Webster war überzeugt, dass ihn das kalte grüne Wasser des Sees – oder noch besser, des Meers – augenblicklich von seiner Trägheit kurieren würde, und von seiner Verwirrung, die ihm in gewisser Weise am meisten zusetzte. Selbst ohne Schmerzmittel war er seit seiner Rückkehr aus Marrakesch schwerfällig, als würde sein Verstand, jetzt wo er hellwach sein musste, vor der unlösbaren Aufgabe zurückschrecken. Wenn er doch nur ins Wasser könnte, vielleicht kämen dann auch die Antworten. Ja, ganz sicher.
Im Osten der Stadt brach die Sonne durch, doch der Hampstead Heath lag unter dicken Regenwolken, und ein starker Nordwind fegte durch die Bäume, deren Äste tief auf das Seeufer herabhingen. Es war ein schneidender Wind, und zum ersten Mal seit Wochen fror Webster. Es waren nur drei Schwimmer da, jeder in seiner eigenen Welt zogen sie ihre Bahnen. Für einen Moment sah er ihnen zu, und statt wie sonst vom Steg zu springen, ließ er sich dann langsam an der Leiter ins Wasser hinab; die Kälte wanderte kribbelnd seinen Körper hinauf, und er fing ganz vorsichtig an, mit langsamen, gemächlichen Zügen. Brustschwimmen wie seine Eltern, dachte er, mit trockenen Haaren.
Sanft glitt er unter die Wasseroberfläche, ließ die Kälte in seinen Kopf und in seine Gedanken dringen, öffnete die Augen und sah nichts weiter als das trübe dunkle Grün. All seine Schmerzen wurden fortgespült, und während sich sein Kopf langsam leerte, trieb er so lange im Wasser wie er konnte, wie eine Leiche auf der Oberfläche.
Als er wieder hochkam, fing es an zu regnen, dicke Tropfen, wärmer als das Wasser im Teich, und er drehte sich auf den Rücken, um in den meeresgrauen Himmel zu schauen. Es war wie in Cornwall. Grün und grau und nass, die Erde, das Meer und der Himmel, alles eins. Sollte er die Sache heil überstehen, würde er nie wieder einen Fuß in die Wüste setzen.
Um zehn Uhr stand er vor dem Haus in der Mount Street, und inzwischen hatte er eine Reihe Entscheidungen getroffen. Er hatte jetzt einen klaren Kopf, und
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