Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
du deswegen an?«
Webster lachte. »Nicht unbedingt.«
Eine der zahlreichen Freuden und auch Hindernisse, wenn man es mit Constance zu tun hatte, war, dass er ein Publikum brauchte. Ohne konnte er nicht leben. Meistens ließ er seine Tiraden schriftlich vom Stapel, in seinem Blog, doch es gab für beide Seiten nichts Lohnenderes, als persönlich beschimpft zu werden, wenn er in seiner ganzen Größe und Leibesfülle, mit seinen zerknitterten Leinenanzügen und seiner ausgefallenen Halsbekleidung (manchmal trug er ein verdammtes Halstuch), seinem altmodischen Bart und dem durchdringenden Brummen seiner rhythmischen Stimme eine perfekte, unwiderstehliche Performance ablieferte. Dabei erinnerte er stark an einen alten amerikanischen Entertainer.
Fletcher Constance war ein merkwürdiger Banker und ein unverbesserlicher Querkopf. 1986 war er für eine amerikanische Bank in die Golfregion gegangen und hatte schließlich gekündigt, als ihm, wie er es sagte, »klar wurde, dass meine Kollegen Schwachköpfe waren und versucht haben, ihre Vorgesetzten zu bevormunden, und ich war wahrscheinlich der Schlimmste von allen«. Das war natürlich gelogen, nicht zuletzt, weil er ab da für einen seiner Kunden arbeitete und in dessen Auftrag fünf Jahre lang erfolgreich Investitionsmöglichkeiten auftat und zum Abschluss brachte. Zur Jahrhundertwende hatten die beiden sich überworfen, und inzwischen tat Constance – wohlhabend, frei von Schulden und familiären Verpflichtungen – nicht viel mehr, als auf die Welt zu schimpfen, oder zumindest auf den überwiegenden Teil der Welt, den er für käuflich, oberflächlich, unredlich oder korrupt hielt.
Hin und wieder tat er das auch in gedruckter Form, im Wall Street Journal und im Forbes Magazine , doch den Großteil seines eindrucksvollen Ausstoßes fand man in seinem Blog – der sich vergnügt The Gulf Apart nannte –, als tägliche Moralpredigt über die wirtschaftlichen Auswüchse in der Region. Die jüngsten Einträge umfassten eine Schmähschrift gegen die Geschäftsführung einer leistungsschwachen Baufirma, gewagte Prognosen über die Zahl der Unternehmen am Golf, die im kommenden Jahr ihre Schulden nicht mehr bezahlen konnten, und eine Analyse der Politik der Vereinigten Arabischen Emirate; er verglich die Beziehung zwischen Dubai und Abu Dhabi mit der zwischen »einer Nutte und ihrem Freier«. Was ihn so wertvoll machte, war die Tatsache, dass er kein Spinner war, dass er, wenn ihm sein Enthusiasmus nicht in die Quere kam, meistens richtiglag, und dass er trotz seines Geschreis und Wutgeheuls jeden dort kannte – vom Scheich bis zu den Auslandskräften in den Unternehmen –, und knapp die Hälfte davon mochte ihn. Soweit Webster sich erinnern konnte, hatte Constance versucht, Dubai zu verlassen und sich nach Beirut zurückzuziehen, in ein in den Hügeln gelegenes wunderschönes Haus aus den 1930ern, dessen Bild er bei jeder erstbesten Gelegenheit herumzeigte.
Ike kannte ihn am besten. Sie hatten sich während Hammers Kuwait-Aufenthalt zur Zeit des ersten Golfkriegs angefreundet, und sollte Constance ihre Geschichte oder den Fall interessant finden, würde er Ike sein Wissen, oder was er herausfand, zur Verfügung stellen. Seine Tarnung war äußerst simpel: Niemand konnte sich vorstellen, dass jemand, der so schrecklich laut war, Spionage betrieb.
»Und wann kommst du her?«, fragte Constance.
»Nächste Woche.«
»Raus aus der Stadt. Das sind schöne Neuigkeiten. Brauchst du eine Übernachtungsmöglichkeit?«
Webster konnte hören, wie er kräftig an einer Zigarette zog. »Ich denke, ich komm schon irgendwo unter. Wir werden sehen.«
»Du brauchst nur Bescheid zu sagen.«
»Mach ich.« Webster hielt inne. »Ich habe einen Namen für dich. Kann sein, dass er nicht in dein Fachgebiet fällt.«
»Spuck ihn einfach aus.«
»Darius Qazai.«
Constance gluckste laut. »Darius Qazai? Den iranischen Edelmann? Nichts leichter als das, mein Freund. Am Golf findest du keinen größeren Betrüger. Mag sein, dass es in London weitere Kandidaten auf den Titel gibt, aber hier, mit seinem ruhigen, ach so eleganten Auftreten, sucht er seinesgleichen.«
Obwohl ihm die Stimme der Vernunft sagte, Constances Obsessionen zu misstrauen, merkte Webster, dass sein Interesse geweckt war.
»Ach ja? Du schreibst kaum über ihn.«
»Weil er sehr prozessfreudig ist und ich, wie ich gestehen muss, kaum über harte Fakten verfüge. Andernfalls würde ich sie drucken, und wenn er nicht so
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