Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
der Ermittlungen, Zugang zu sämtlichen Unterlagen sowie die Erlaubnis, überall Nachforschungen anzustellen –, berief Webster sein Team zu einer Besprechung in sein Büro.
Hammer war auch da. Sie hatten ausgemacht, dass er sich um Qazai kümmerte, während Webster die eigentliche Arbeit erledigte, eine faire Aufteilung, die beiden gefiel und die sie möglicherweise bis zum Schluss beibehalten würden. Der Vertrag mit dem Klienten war nicht weniger ausgefeilt. Ikertu sollte untersuchen, was hinter den Anschuldigungen wegen des Kunstraubs steckte, und ihn von den Ergebnissen ihrer Ermittlungen informieren. Qazai sollten sie ebenfalls unter die Lupe nehmen, und falls sie Grund zu der Annahme hatten, dass er nicht sauber war, sollten sie ihrer Verpflichtung nachkommen, das auch zu erwähnen. Das hatte Senechal gar nicht gepasst, aber Qazai hatte ihn, zu Websters Zufriedenheit, überstimmt.
Hammer hockte an dem kleinen Tisch; zu seiner Rechten saß Rachel Dobbs; ihm gegenüber Dieter Klein. Dobbs, die mit ihren flachen Absätzen einen Meter achtzig maß und heute, wie meistens, ein wenig geschafft wirkte, war Hammers Lieblingsmitarbeiterin. Sie war die erfahrenste Rechercheurin bei Ikertu. Vor zwanzig Jahren war sie als dritte Mitarbeiterin zur Firma gestoßen und war nach Hammer die Dienstälteste hier. Er bewunderte ihre Hartnäckigkeit, ihr Geschick, zwischen scheinbar zusammenhanglosen Dingen eine Verbindung herzustellen, und dafür, wie konsequent sie ihr Privatleben abschirmte. In diesem Büro, mit den neugierigsten Menschen der Welt, wusste keiner etwas über sie, außer dass sie verheiratet war (sie trug jedenfalls einen Ring) und auf dem Land wohnte, nahe Leighton Buzzard (so stand es in ihrem Lebenslauf, und die Firma zahlte ihr immer noch das Fahrkartenabo). Sie war kein geselliger Mensch: Sie nahm weder an der Weihnachtsfeier teil, noch ging sie mit ihren Kollegen etwas trinken, noch unterhielt sie sich mit ihnen über etwas anderes als die Arbeit. Bereits während des Bewerbungsgesprächs hatte sie Hammer vorgewarnt, und seitdem liebte er sie dafür.
Hin und wieder, bei solchen Besprechungen, betrachtete Webster ihr schmales Gesicht, ihre zarte Nase und die schmalen Lippen, ihre abwesenden Augen. Dann stellte er sich vor, wie ihr Leben außerhalb des Büros wohl aussah, und kam zu dem Schluss, dass sie, egal was für ein Leben sie tatsächlich führte, womöglich der zufriedenste Mensch war, den er kannte. Sie hatte nicht das Bedürfnis, etwas von sich zu erzählen, und sie redete nicht viel, allerdings weniger, weil sie schüchtern war, sondern distanziert. Klein hingegen wollte unbedingt seine Begeisterung mit anderen teilen und hatte Angst, etwas falsch zu machen, besonders vor Hammer. Er war ein ernster junger Mann, der an der Universität von Hannover und an einer Wirtschaftshochschule in Frankreich seine Abschlüsse gemacht hatte; seit einem Jahr arbeitete er jetzt in dem Job, doch es fiel ihm immer noch schwer, sich zu entspannen. Webster mochte ihn – er sprach unzählige Sprachen, konnte sich in allen auch recht gut schriftlich ausdrücken und verstand selbst komplizierte Dinge sofort –, aber Hammer war sich bei ihm nicht sicher, denn er hielt Klein für weltfremd und unfertig. »Er behandelt jeden Fall wie eine Dissertation«, hatte er mal zu Webster gesagt, und obwohl es hart klang, hatte er recht. Klein wiederum, der wie die anderen nichts weiter wollte, als Hammer zu beeindrucken, und der sensibel genug war, um seine Selbstzweifel zu erkennen, war in seiner Gegenwart stets leicht nervös, und heute wirkte er sogar noch eine Spur unreifer hinter seiner seriösen Brille und seinem blonden Bart. Dobbs begegnete er stets mit einer gewissen Ehrfurcht.
Seit einiger Zeit war Websters Büro chaotischer als sonst. Den Schreibtisch bedeckten ungeordnete Stapel von Dokumenten, und an den Wänden hingen überlappend mehrere Flipchart-Blätter, auf die er nach und nach eine Karte der Welt, mit Darius Qazai im Zentrum, gezeichnet hatte.
Fürs Erste gingen sie die wichtigsten Punkte durch: Qazai, das Relief, und was beide miteinander verband. Hammer runzelte die Stirn und ließ seinen Blick erwartungsvoll um den Tisch wandern. »Also. Was haben wir?«
Langsam und mit Bedacht öffnete Dobbs ihre Akte und fing an, in gemächlichem Tempo vorzutragen. Dabei brauchte sie die Unterlagen gar nicht, ja, sie warf nicht mal einen Blick darauf, lediglich eine Hand hatte sie flach auf der ersten Seite liegen,
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