Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
Leerraum, den die anderen bereit waren auszufüllen.
Und das taten sie. Beim ersten Treffen mit Webster hatte er von sich aus erzählt – ganz untypisch für ihn –, dass er noch nie »aufgeflogen« sei: Kein einziges seiner Telefonate sei bisher schiefgegangen, keine seiner Zielpersonen habe bisher den Verdacht gehegt, dass man sie reingelegt habe. Das konnte sich Webster gut und gerne vorstellen. Trotz seiner Schwammigkeit hatte Oliver etwas an sich, das in einem den Wunsch weckte, sich ihm anzuvertrauen. Vielleicht handelte es sich um einen verborgenen Trick; vielleicht war es schlicht und einfach das Bedürfnis, die Stille zu durchbrechen. Was auch immer es war, daran hatte sich nichts geändert, und Webster erwischte sich erneut dabei, dass er zu viel von sich preisgab.
Eigentlich hatte er die Einzelheiten vage halten wollen: den Grund seiner Ermittlungen und das, was er herauszufinden hoffte. Aber am Ende erzählte er, abgesehen von der Identität seines Klienten, Oliver dann doch die ganze Geschichte: von dem geraubten Relief, von Mehrs Tod und von seiner festen Überzeugung, dass es zwischen beidem einen Zusammenhang gab und dass man nur aufdecken musste, worin diese Verbindung bestand, indem man zum Zentrum der Sache vordrang, dorthin, wo das Geld war.
Als Webster seine kurze Einführung beendet hatte, nickte Oliver mehrmals, um ihm zu signalisieren, dass sie jetzt auf einer Wellenlänge waren und ein verschworenes Team bildeten.
»Und was genau soll ich tun, Ben?« Seine Stimme klang warm und sanft umschmeichelnd.
Webster sah Oliver ein letztes Mal an, bevor er sich ihm anvertraute. Seine Überlegung: Qazai erpresste ihn, und um dem ein Ende zu setzen, musste er ihn ebenfalls erpressen. Das war seine Idee, und es klang ziemlich logisch. Aber Logik hatte ihn nicht hierhergeführt.
Herauszufinden, wen Shokhor angerufen hatte, war eine Sache: Er war ganz offensichtlich ein Betrüger, und in Dubai oder auf Zypern scherte sich sowieso niemand um Datenschutz. Aber sie befanden sich in London, und bei den Zielpersonen handelte es sich um britische Staatsbürger, und einer von ihnen war erst seit Kurzem tot. Und noch schlimmer: Ihre Nachforschungen würden nicht unbemerkt bleiben. Vor zehn Jahren machten sich nur wenige Journalisten und Ermittler Gedanken darüber, was sie taten; in der Masse fühlten sie sich sicher, und man interessierte sich kaum für ihre Aktivitäten, sodass ihnen die Straftaten nicht wie richtige Straftaten vorkamen. Es wimmelte nur so von Dean Olivers, die vertrauliche Informationen von Prominenten entwendeten, Finanzen von Ehepartnern überprüften und flüchtige Schuldner aufspürten; doch jetzt, wo die Menschen dagegen protestierten, dass man ihre Privatsphäre verletzte, gehörte Oliver einer aussterbenden Art an, und es war nur schwer vorstellbar, wie selbst ein so raffinierter und gerissener Bursche seinem Schicksal entfliehen sollte. Frühzeitig hatte Hammer verboten, Kontakt mit ihm oder seinesgleichen aufzunehmen.
Während er ihn jetzt so betrachtete, überkam Webster eine gewisse Traurigkeit – wahrscheinlich machte das einen Teil von Olivers Zauber aus –, weil es solche Menschen eines Tages einfach nicht mehr geben würde und weil Männer wie Qazai es dann etwas entspannter angehen lassen könnten. Denn hin und wieder kam einem das, was Oliver tat, nicht nur notwendig, sondern richtig vor.
»Ich möchte, dass du Qazai unter die Lupe nimmst. Seine Telefonate. Seine Kreditkarten. Um die Bankgeschäfte musst du dich nicht kümmern, das wäre zu kompliziert. Aber ich will wissen, wie viel Geld er ausgibt, wo und wann. Sämtliche Zahlungen mit seinen Kreditkarten. Von jedem Hotel, in dem er übernachtet, will ich die Rechnungen haben. Ich will wissen, mit wem er von seinem Zimmer aus telefoniert hat. Und wo er hinfliegt. Er besitzt einen Jet, der steht in Farnborough. Ich will genau wissen, wo die Maschine in den letzten zwei Jahren überall gewesen ist.«
Oliver machte sich ein paar Notizen, und Webster fuhr fort.
»Und ich möchte, dass du Mehr unter die Lupe nimmst. Seine Firma. Seine Privatkonten – sämtliche Konten, die du findest. Zahlungsein- und -ausgänge. Und mit wem er telefoniert hat. Alles, was dir einfällt. Du hast freie Hand.«
»Wann ist er gestorben?«
»Vor zwei Monaten.«
Oliver schrieb sich alles auf, und plötzlich sah Webster vor seinem geistigen Auge, wie ein Anwalt genau diesen Notizblock als Beweisstück präsentierte. Er würde Oliver nach
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