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Die Kunst, frei zu sein

Die Kunst, frei zu sein

Titel: Die Kunst, frei zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
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Tolstoi:
    … selbst wenn das Fehlen von Regierung wirklich Anarchie im negativen, chaotischen Sinne des Wortes bedeutete – was weit von den Tatsachen entfernt ist –, selbst dann könnte kein anarchisches Chaos schlimmer sein als die Situation, in die Regierungen ihre Völker bereits geführt haben und noch führen.
    Ebenfalls faul am Kern der Regierung ist der schlichte Umstand, dass Macht eine Karrieremöglichkeit darstellt. Man wird dafür bezahlt. Außerdem kann man umsonst mit dem Taxi fahren, an eleganten Diners teilnehmen und sieht seinen Namen in den Zeitungen. Politik ist eine »Fame Academy« für die Talentlosen, der »X Factor« für langweilige Männer und Frauen. Ist nicht die Tatsache, dass jeder Politiker in einer Karriere-Tretmühle läuft und ständig versucht, mehr Geld zu verdienen und in der Hierarchie höher zu klimmen, Grund genug dafür, das gesamte Projekt einzumotten? Wenn unsere so genannten Staatsdiener unbesoldet und anonym wären, würden wir ihnen vielleicht eher Vertrauen schenken. Vor gar nicht so langer Zeit waren Parlamentsmitglieder unbezahlt. John Wilkes zum Beispiel bezog nie ein Gehalt. Damals war die Politik noch nicht auf so tragische Weise professionalisiert. Das soll nicht heißen, dass viele Politiker nicht die besten Absichten hätten, aber die Wohlmeinenden können mehr Schaden anrichten als diejenigen, die sich gar nicht erst einmischen. Bestimmt haben es auch die Puritaner gut gemeint, als sie Weihnachten verboten.
    Politik ist nicht die Kunst, ein Land zu regieren, sondern die Kunst, das Volk davon zu überzeugen, dass es eine Reihe bezahlter Politiker benötigt, die das Land regieren. Und in diesen dunklen Künsten sind unsere Führer erfahren und geschickt. Um an der Macht zu bleiben, müssen sie uns einreden, dass sie unsere Erlöser sind und dass wir ohne sie nicht zurechtkämen. Mit anderen Worten: Sie müssen uns davon überzeugen, dass wir dumm und hilflos sind. Und daran arbeiten sie intensiv. Ihr Ziel erreichen sie hauptsächlich durch eine ständige Berieselung über die Medien. Jede Zeitung, jede Radio- und Fernsehnachrichtensendung, jede nachrichtengestützte Website ist mit Parteipolitik vollgestopft. Es ist die Art kostenloser Reklame, von der die PR-Vertreter eines Privatunternehmens nur träumen können. Die Regierenden sind sehr geschickt: Die meisten Premierminister würden äußerst erfolgreiche Gebrauchtwagenhändler abgeben. Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass die meisten dir Crack verkaufen und dir gleichzeitig einreden könnten, dass du dadurch Not leidenden Staaten hilfst und außerdem noch eine Menge Gutes für deine Gesundheit tust.
    Moralisch begründete Feldzüge wie der so genannte Krieg gegen die Drogen werden nur durchgeführt, um uns glauben zu machen, dass Politiker ein Gefühl für Gut und Böse haben. Die herkömmliche Reaktion auf den Holocaust lautet: »Nie wieder.« Wir haben sogar einen Holocaust-Tag, der dem ausdrücklichen Zweck dient, solche Gräuel in Zukunft zu verhindern. Wir beglückwünschen uns dazu, dass wir keine Juden in Konzentrationslager und Gaskammern schicken, und schließen gleichzeitig die Augen vor der Realität, dass wir heute, hier und jetzt andere Menschen anderen Formen des Todes und der Sklaverei ausliefern.
    Und dann das Wahlspektakel. Alle fünf Jahre werden die Menschen, die seit der vorigen Wahl von den Politikern mehr oder weniger ignoriert wurden, plötzlich mit Beteuerungen überhäuft, dass ihre Stimmabgabe ausgesprochen wichtig sei. In einem absurden Drama erscheinen die Parteiführer im Fernsehen und werden von Gruppen »gewöhnlicher Bürger« befragt. Diese Show soll uns den Eindruck vermitteln, dass wir in einer Demokratie leben. Flugblätter werden verteilt, ernste junge Kandidaten (aufsteigende Karrierepolitiker) kommen an die Haustür und versprechen, den von der gegenwärtigen Regierung angerichteten Schlamassel zu beheben. Zeitungen sind voll von endlosen Spekulationen und Berichten über den Wahlkampf. Vielleicht kann man das Ganze ein paar Minuten lang als Unterhaltung genießen. Es wäre jedoch falsch zu glauben, dass es die geringste Bedeutung für unser Alltagsleben hat. Die Wahl wird stattfinden, das Fieber wird sich legen, und die Situation wird sich normalisieren: Die gewählte Partei tut, was ihr beliebt, weil sie sich einredet, vom Volk ernannt worden zu sein.
    Leute, die an eine derartige parlamentarische Demokratie glauben, tun dies nur, wenn ihre eigene

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