Die Kunst, gelassen zu erziehen
Position wechseln, wenn Sie das Kind darstellen.
Versuchen Sie, nicht so sehr von dem auszugehen, was Sie denken, sondern fühlen Sie sich ein, und lassen Sie die Worte einfach kommen. Wenn Sie das Gefühl haben, dass auf diese Weise eine wirkliche Verbindung zu Ihrem Kind entsteht, können Sie mit ihm auch in einen Dialog treten und es fragen, was es sich von Ihnen wünscht. Auch hier kann der Positionswechsel eine Hilfe sein.
Wenn Sie dabei bleiben können, stellen Sie sich vor, Sie wären ein Kind und hätten die Möglichkeit, sich Ihre Eltern auszusuchen. Wenn Sie sich wirklich in diese Situation versetzen, nach innen fühlen und Ihrer Fantasie freien Lauf lassen: Welche Qualitäten würden Sie sich bei Ihren Eltern wünschen? Was wäre Ihnen wichtig? Wie wünschen Sie sich Ihre Umgebung?
Es geht dabei nicht darum, in Ihre eigene Kindheit zurückzugehen und sich damit zu befassen, was Ihre Eltern Ihnen alles nicht gegeben haben. Vielmehr versuchen Sie, den Ort in sich zu erreichen, an dem Sie intuitiv wissen, was ein Kind sich für sein Leben wünscht. Wir alle waren Kinder, und wir alle haben dieses Wissen. Wenn Sie diese Übung immer wieder einmal ausführen, ohne dabei schnelle Ergebnisse zu erwarten, werden Sie den Zugang zu diesem inneren Wissen wiederfinden.
Schließen Sie die Übung für diesmal in Ihrem eigenen Rhythmus ab, strecken Sie sich, und kommen Sie achtsam in den Alltag zurück.
Wünsche und Bedürfnisse erkennen
Im Alltag können wir diese Übung vereinfachen und auf unsere momentane Lebenssituation anwenden, indem wir uns fragend den Wünschenunseres Kindes nähern. Bei einem Baby ist es mit etwas Empathie häufig gar nicht so schwer zu beantworten, was es sich gerade wünscht, denn in der Regel geht es vor allem um die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse. Wir können uns an seine Stelle denken und wissen oft sofort die ANTWORT : Was würde ich mir wünschen, wenn ich weine – in den Arm genommen und getröstet zu werden oder ein kühles »Ist schon nicht so schlimm!« zu hören? Was wäre mir lieber – schreiend einzuschlafen oder sanft in den Schlaf gewiegt zu werden? Wäre es mir angenehmer, ruhig und achtsam die Windeln gewechselt zu bekommen oder schnell und grob? Obwohl die Fragen mehr rhetorischen Charakter haben und in der Regel eindeutig zu beantworten sind, fällt es uns manchmal schwer, uns danach zu richten. Denn die Bedürfnisse unseres Babys sind oft andere als unsere eigenen. Das Beispiel auf der nächsten Seite zeigt Ihnen, wie Sie in einer solchen Situation vorgehen können.
Erfahrungen mit Mitgefühl begegnen
Buddha zeigte einen Weg auf, all unseren Erfahrungen mit offenen Augen und einem offenen Herzen zu begegnen. Was es dafür braucht, ist Achtsamkeit – ein Gewahrsein unserer Erfahrungen im aktuellen Moment, ohne diese als gut oder schlecht zu beurteilen, ohne sie zu verdrängen oder zu versuchen, sie festzuhalten. Praktizieren wir dies mit wohlwollendem Interesse für uns und unsere Erfahrung, wird es uns zunehmend gelingen, allem, was geschieht, mit mehr Mitgefühl und Gelassenheit zu begegnen. Wir finden unser GLEICHGEWICHT immer mehr und lernen, auch auf den höheren Wellen unseres Lebens zu surfen, statt hilflos hierhin und dorthin geschleudert zu werden.
Erfahrungsbericht
Marion, 36, mit Lukas, 5 Monate
Neulich war ich völlig verzweifelt. Es war zwei Uhr morgens und mein Baby weinte – mal wieder! Es war bereits die dritte Nacht hintereinander, dass ich auf diese Weise gleich mehrmals geweckt wurde. Der Schlafentzug führte dazu, dass ich mich zunehmend dünnhäutig, hilflos und reizbar fühlte. Gedanken schossen mir durch den Kopf: »Warum schläft dieses Kind nicht? Was mache ich falsch? Die Kinder der anderen Mütter in der Elterngruppe scheinen alle durchzuschlafen – nur meines nicht. Vielleicht hat es eine Kolik? Verdammt noch mal – gib endlich Ruhe! Wenn wenigstens Ingo aufstehen und mich unterstützen würde. Aber der muss ja morgen zur Arbeit. Das ist so ungerecht!«
Doch plötzlich, inmitten von Zweifeln, Selbstmitleid und Wut auf meinen Partner, erinnerte ich mich an die Übung, die ich in einem Achtsamkeitsseminar gelernt hatte.
Ich sagte ganz bewusst »Stopp« und unterbrach die negativen Gedanken, die meine Verzweiflung schürten. Nach ein paar tiefen Atemzügen gelang es mir, die Situation so zu sehen, wie sie sich objektiv darbot: Ich war müde und mein Baby weinte. Das war an sich weder gut noch schlecht – so war es einfach. Als
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