Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
sein dürfte. Es gibt weit mehr Hymnen auf Köln als auf jede andere deutsche Stadt, einschließlich des viel bedeutenderen Berlins. Doch was wäre der sympathische Kölner Patriotismus ohne den unvermeidlichen Düsseldorfer, der den unglücklichen Deppen abgibt, neben dem der Kölner umso jovialer hervorleuchtet. (Vermutlich sieht der Düsseldorfer das Verhältnis genau umgekehrt. Allerdings völlig zu Unrecht, wie ich als Kölner betonen muss.)
Uns in Gruppen zusammenzuschließen ist ein Teil unseres natürlichen Verhaltens. Und die Existenz der »anderen« ist damit nicht etwa ein moralisches Missverständnis - sondern die »anderen« sind eigentlich unvermeidbar! Wen wir mehr mögen, den betrachten und bewerten wir anders als jemanden, den wir »außen vor« lassen. Im Regelfall bilden unsere nächsten Angehörigen unseren innersten Zirkel, wobei Ausnahmen die Regel bestätigen. Es gibt Eltern, die ihre Kinder vernachlässigen, und Kinder, die ihren Eltern zum schnellstmöglichen Zeitpunkt den Rücken kehren. Es gibt Geschwister, die sich hassen und den Kontakt zueinander abbrechen. Eine mathematische Regel, wonach unsere nächsten Angehörigen genau diejenigen sein müssen, denen unsere größte Sorge und Fürsorge gilt, gibt es nicht. Gleichwohl stehen unsere nächsten Verwandten uns weit häufiger nahe, als dass sie uns egal sind.
Ebenso in den engsten Dunstkreis der Gefühle und Mitgefühle gehören unsere Freunde. Auf der nächsten Stufe folgen unsere guten Bekannten und danach diejenigen Menschen, die uns
weitgehend gleichgültig sind. Unser Mitgefühl ist nicht für die Menschheit gemacht. Oder mit Methusalix, dem übellaunigen Greis aus Asterix gesagt: »Nichts gegen Fremde. Einige meiner besten Freunde sind Fremde. Aber diese Fremden, die sind nicht von hier!« Verwandte, Fremde, die wir zu unseren Freunden zählen, und dann die, die »nicht von hier« sind - bestechender kann man die Abstufung unserer moralischen Sensibilität kaum beschreiben. Falls Sensibilität hier das richtige Wort sein sollte.
Für den Ökonomen Samuel Bowles, den Direktor des Santa Fe Institute in New Mexico, gleicht unsere Hordennatur dem Denken in einer ländlichen Pfarrei, einem Parochus (πάροχος). Seiner Herkunft nach bedeutet das griechische Wort eigentlich etwas Positives: Es heißt »darreichend, gebend«. Aber der Aspekt, den Bowles aus dem Leben in einer ländlichen Pfarrei herausliest, ist ein anderer. Die Menschen in einer kleinen Pfarrei sind sicher hilfsbereit zu ihren Gemeindemitgliedern. Aber sie sind zugleich engstirnig, beschränkt und misstrauisch gegen andere. Berühmt wurde der Begriff nicht nur, weil Bowles ihn prägte, sondern weil auch Ernst Fehr ihn für seine Forschungen übernahm. Für einen Mann wie ihn, der einmal Pfarrer werden wollte, eine nette Pointe. 1
Menschen neigen zum »Parochialismus«, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Wir sind nicht nur erkenntnistheoretische, sondern auch moralische Höhlenbewohner. So richtig wohl fühlen wir uns dauerhaft nur in einer kleineren Gemeinschaft nahe einer (imaginären) Feuerstelle. Erinnern wir uns an das Gerechtigkeitsexperiment im Schweizer Kindergarten (vgl. Natur und Kultur. Wie wir Moral lernen). Die Kinder sollten entscheiden, wie viel Süßigkeiten sie einem anderen, nicht-anwesenden Kind abgeben wollten. Dabei war es wenig überraschend, dass die Kinder einen erheblichen Unterschied machten, ob ihnen das Kind, mit dem sie teilen sollten, bekannt war oder nicht. 2
Unsere Fürsorge und Hilfsbereitschaft sind also begrenzt. Und gemeinhin beziehen sie sich auf Menschen, die uns nahestehen. Selbstverständlich verhindert das nicht, dass wir uns unter der
Flagge einer moralischen Idee auch für ferne und fremde Menschen einsetzen. Wir können uns bei amnesty international für Gefangene engagieren, die wir nie gesehen haben. Wir können Geld für eine Wohltätigkeitsorganisation stiften und bekommen die Begünstigten unserer Hilfe nie zu Gesicht. Und wir können uns für Ideale einsetzen wie das Christentum, den Islam, den Kommunismus und so weiter, mit denen wir Menschen beglücken wollen, die wir nicht kennen. Doch all dies steht noch lange nicht in einem Widerspruch zu unserer urtümlichen Parochialität. Der gleiche Mensch, der sich für eine Hilfsorganisation einsetzt, muss nämlich noch lange nicht alle Menschen lieben und hochschätzen, die er kennt. Wäre dies die Voraussetzung, so hätten die Wohltätigkeitsorganisationen dieser
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