Die Kunstjaegerin
morgen Früh um fünf wegen einer Netzwerkimplementierung nach Hamburg.«
»Musst du wirklich weg?«, fragte Theresa. Sie saß im Bett und zog ihre Decke bis zum Kinn.
»Schatz, ich bin doch Sonntag wieder da. Das Projekt ist lange geplant, da muss ich dabei sein.«
»Aber hier ist so viel los, ich fühle mich nicht sicher.« Sie atmete tief durch. »Irgendjemand hat mein Handy gestohlen und verwanzt. Und wegen meiner ›Krönung‹ wurde ein Mensch ermordet.«
»Thesi, ich bin mir sicher, dass die Wanze schon vorher im Telefon war. Außerdem hat mich Paul überzeugt, dass die Tat im Affekt geschehen ist. Dein Bild kann also nichts damit zu tun haben. Und sei ehrlich, diese leichte Paranoia hast du doch schon länger.«
»Willst du damit sagen, ich bin hysterisch?«
Seine Gabe, ruhig zu analysieren und erst zu handeln, wenn es notwendig war, schätzte Theresa sonst an Leon, aber in diesem Moment war sein Verhalten ein rotes Tuch für sie. Diese Lethargie!
Diese Apathie! Konnte er wirklich tatenlos zusehen, wie sie in einem Strudel unerklärlicher Vorfälle versank?
»Ich sagte nicht, dass du hysterisch bist. Ich wollte dich beruhigen, erklären, dass alles ein Zufall ist, und …«
»Ich will mich nicht beruhigen! Ich will, dass du da bleibst!«
Theresa sprang aus dem Bett.
»Das geht nicht. Es tut mir leid.« Leon versuchte, sie an sich zu ziehen, doch sie ging ein Stück zur Seite und verschränkte die Arme vor der Brust. »Und wenn Dino heute wirklich jemanden am Fenster gesehen hat?«
»Ein Monster? Bitte bleib realistisch. Und erinnere dich, er hat in Reimen gesprochen: ›groß‹ und ›bloß‹. Er hat aus einem seiner Bücher zitiert.«
»Wie soll er sich sonst ausdrücken? Er benutzt eben die Worte, die er aus den Geschichten kennt. Deshalb lesen wir ihm ja vor!
Willst du ihn auch als paranoid hinstellen?«
»Nein, seine Vorstellungen ordne ich kindlicher Fantasie zu.«
Leon setzte sich aufs Bett und schnaufte.
»Bitte bleib hier. Denk einmal – nur einmal – zuerst an Dino und an mich.«
»Schatz, ich denke immer zuerst an euch, aber der Termin steht seit zwei Monaten.«
»Nein, immer ist der Job wichtiger. Alles, alles ist immer viel wichtiger!« Theresas Stimme wurde schriller.
Leon, den selten etwas aus der Reserve locken konnte, antwortete verärgert: »Und was soll ich deiner Ansicht nach tun?
Das Projekt absagen? Anrufen und ihnen mitteilen: ›Entschuldigt, wir können den Anschluss an das Mutternetzwerk nicht vornehmen, weil meine Frau glaubt, dass die Illuminaten hinter ihr her sind?‹«
»Du bist unfair! Ich spinne nicht!« Theresa ballte ihre Hände zu Fäusten und hätte am liebsten aufgestampft. Wenigstens hatte er nicht gesagt, er müsse fliegen, weil nur er das Geld verdiente. Da wäre sie vollends ausgeflippt.
»Außerdem muss einer das Geld …« Leon duckte sich, als die Nachttischlampe über ihn hinwegschoss.
»Ich schlafe im Wohnzimmer. Weck mich nicht auf, wenn du fährst.« Bepackt mit Decke und Dinos Plüschbiber marschierte Theresa hinaus.
Kapitel 8
Wien, Freitag, 8. November
Missmutig wischte sie das Herz aus Frühstücksflocken vom Tisch, als sie am nächsten Morgen verschlafen in die Küche geschlurft kam. »Ja, du mich auch. So einfach geht das nicht, mein lieber Leon«, grummelte Theresa und überlegte, was sie tun sollte. Sie wollte auf keinen Fall alleine bleiben und beschloss, Flora zu bitten, in den nächsten Tagen bei ihr zu schlafen .
Nachdem sie sich für mittags verabredet hatten, machte sich Theresa mit Dino auf den Weg in den Kindergarten. Danach erledigte sie lang aufgeschobene Einkäufe. Kühlschrank und Vorratskammer leerten sich allmählich und die gesamte Garderobe ihres Sohns war wieder einmal zu klein geworden.
Erschöpft kam Theresa kurz nach zwölf mit Dino im Schlepptau wieder nach Hause. Die Post zwischen den Zähnen und die Hände voll mit unzähligen Einkaufstaschen, steckte sie den Schlüssel ins Schloss. Dabei riss eine der Papiertüten. Joghurt, zerbrochene Eier und Haferflocken vermischten sich vor dem Eingang zu einer zähflüssigen Masse. Leise fluchend stieg Theresa darüber und öffnete die Haustür. Sie spuckte die Briefe auf den Tisch in der Garderobe und stutzte.
Irgendwie sah es chaotischer aus als sonst. Sie brauchte eine Zehntelsekunde, um zu begreifen, was passiert war. Nicht sie war, wie sonst, der Verursacher dieses Durcheinanders, hier musste ein Einbrecher am Werk gewesen sein!
Langsam ging
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