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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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hindeutet.«
    Der Wundarzt warf Kitty noch einen besorgten Blick zu, bevor er den Kopf schüttelte und mit einem kurzen Gruß die Schreibstube verließ.
    Zufrieden streckte Mutter Grimshaw ihrem Neuzugang die Hand entgegen.
    »Willkommen im Tempel der Venus, Kitty Montague.«
    Mit grimmiger Entschlossenheit schlug Kitty ein.

20
    Die ersten Tage in Mutter Grimshaws Bordell verbrachte Kitty mit nichts anderem als Essen und Schlafen. Man hatte ihr eine der Dachkammern zugewiesen, die sie mit einem der anderen Mädchen teilen sollte. Ihre Zimmergenossin war außerordentlich hübsch mit ihrem ovalen Gesicht, den sanften braunen Augen und ihrem reichen kastanienfarbenen Haar. Der einzige Makel, den Kitty an ihr entdecken konnte, war ihre etwas zu ausgeprägte Hakennase.
    »Eigentlich heiße ich Margaret Dickins, aber hier bin ich als Cherry Poll bekannt«, stellte sie sich vor. »Wegen meiner roten Lippen – oben und unten«, fügte sie mit einem schelmischen Augenzwinkern hinzu. »Meine Freunde nennen mich Polly.«
    Kitty schloss das liebenswürdige Mädchen, das nicht älter als sechzehn Jahre sein konnte, sofort ins Herz.
    »Mutter Grimshaw hat Großes mit dir vor«, vertraute Polly der neuen Mitbewohnerin an. »Du bist schön genug, um selbst Sally Salisbury den Rang abzulaufen.«
    »Kennst du sie?«, erkundigte sich Kitty neugierig.
    »Wer nicht?«, rief Polly spöttisch aus. »Man begegnet ihr überall, im Theater, in den Vergnügungsgärten und in ›Tom Kings‹. Sally arbeitet im Haus von Mutter Needham, weißt du.« Sie zog eine goldene Taschenuhr hervor, ließ den Deckel aufspringen und las die Zeit ab. »Wir haben noch eine gute halbe Stunde bis zum Mittagsmahl. Das reicht für eine kleine Führung durch die Räumlichkeiten«, verkündete Polly und brach in perlendes Lachen aus, als sie Kittys erstaunten Blick auf die Uhr bemerkte. »Eine goldene oder silberne Taschenuhr zu besitzen ist der größte Wunsch jeder Hure, wusstest du das nicht? Du wirst dir auch bald eine leisten können. Und nun komm mit.«
    Polly nahm die Hand ihrer Kammergenossin und zog sie mit sich.
    »Den Putzmacherladen und die Stube hast du ja schon gesehen«, bemerkte sie fröhlich, während sie die schmale Treppe in die unteren Geschosse hinabgingen. Unwillkürlich fühlte sich Kitty an ihre Flucht aus dem eingestürzten Haus erinnert und sah die ausgezehrten halbnackten Körper der verhungerten Frauen wieder vor sich. Die letzten Zweifel über ihre Entscheidung verflogen schlagartig. Alles war besser als solch ein erbärmliches Ende!
    Die Gemächer, durch die Polly sie führte, waren ausnahmslos elegant und nach der letzten Mode eingerichtet. In jedem Raum gab es ein Bett mit Volants und Vorhängen aus erlesenem Seidendamast, einen Kamin, Polsterstühle und einen Esstisch aus Walnussholz oder Mahagoni. Die Wände waren mit neuartiger indischer Tapete beklebt und mit Spiegeln und unsittlichen Gemälden behängt. Wandleuchter sorgten für Licht. Die Zimmerdecken waren kunstvoll verputzt. Jedes Gemach trug einen Namen. Da gab es das »Blaue Zimmer«, die »Lilie«, das »Königshaupt«, das »Zepter« und den »Thronsaal«, der besonders kostspielig eingerichtet war. Im Mezzanin zwischen Erdgeschoss und erstem Stock waren die Dienstboten untergebracht. Im Speiseraum befand sich außer einem langen Tisch und acht Stühlen ebenfalls ein Bett. Das Untergeschoss umfasste die Küche, in der der Koch und die Küchenjungen schliefen, die Speisekammer und den Weinkeller. In einem Nebengebäude gab es noch ein Kutschhaus und Stallungen, in denen die zum Bordell gehörenden Wagen und Pferde standen. Huren von Rang gingen nicht zu Fuß durch die Gassen, sondern begaben sich mit der eigenen Karosse zu ihren Freiern.
    Beim Mittagsmahl lernte Kitty die anderen Mädchen kennen, die in Mutter Grimshaws Haus arbeiteten. Sie waren alle jung und hübsch, fast alle kamen wie Kitty aus der Provinz, doch keine besaß noch ihren ländlichen Akzent. Die Bordellwirtin schulte ihre Zöglinge nicht nur darin, sich wie eine Dame zu benehmen, sondern auch, wie eine zu sprechen.
    In den folgenden Tagen lernte Kitty, sich in den enggeschnürten Seidenkleidern selbstbewusst und graziös zu bewegen, auf Schuhen mit hohen Absätzen zu gehen, den Fächer wie eine Dame bei Hofe zu gebrauchen und geistreich zu plaudern. Mutter Grimshaw hatte zunächst leichte Zweifel, ob Kitty in ihrem Alter noch fähig war, die Feinheiten des eleganten Auftretens zu erlernen, doch sie wurde

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