Die Lady auf den Klippen
Stunden hatte sie in dem kleinen Dorf eingekauft, und in einem Kurzwarenladen hatte sie sogar einen Hut erstanden. Bisher hatte sie Sir Rex, der zu Pferde ins Dorf geritten war, nicht aus der Versammlung in der Dorfkirche herauskommen sehen. Daher gab es keinen Grund, auf ihn zu warten, aber genau das wollte sie trotzdem tun.
Immer wieder dachte sie über das Gespräch nach, das sie am Morgen geführt hatten, und an die ungewöhnliche Freundschaft, die aus der Asche ihrer Begegnung in der vergangenen Nacht entstanden war. Auch über Sir Rex’ Charakter dachte sie wieder und wieder nach, über seine Vorzüge und seine Fehler. Niemand war perfekt. Auch sie war alles andere als das. Im Vergleich zu ihren Fehlern wirkten seine ganz reizend.
Sie wünschte, Bess könnte nach Land’s End kommen, so dringend benötigte sie deren Rat. Allerdings konnte sie sich ausmalen, was Bess sagen und tun würde, zumindest zum Teil. Sie würde Blanche ermutigen, sich Rex in die Arme zu werfen, um ihre neu erwachte Leidenschaft auszukosten.
Blanche errötete. Je länger sie darüber nachdachte, desto klarer wurde ihr, dass ihr ein Kuss nichts ausmachen würde.
„Mylady?“, fragte eine Frau mit unsicherer Stimme.
Blanche drehte sich herum. Die junge Frau, die sie ansprach, hatte auch in dem Geschäft eingekauft. Blanche hatte ihre neugierigen Blicke vorhin bemerkt, während sie ihren Hut gekauft hatte. Sie grüßte höflich.
Die rundliche Brünette knickste. Ihre Wangen waren gerötet. „Ich hoffe, ich wirke nicht aufdringlich“, begann sie. „Aber ich konnte nicht umhin zu bemerken, dass Sie auf Bodenick zu Gast sind.“
Jetzt wurde Blanche aufmerksam. „Ja, ich bin eine alte Freundin der Familie. Ich bin Lady Blanche Harrington“, sagte sie zurückhaltend. Das Dorf war klein, nicht größer als zwei Straßen in London, und in so einem Ort wusste vermutlich jeder alles über jeden. Was wollte diese junge Frau?
Diese knickste wieder. „Ich bin Margaret Farrow. Mein Mann und ich sind Nachbarn von Sir de Warenne.“
Blanche war überrascht. „Dann freue ich mich sehr, Sie kennenzulernen“, erklärte sie. Ein glücklicher Umstand, dachte sie. Jetzt fiel ihr auf, dass die junge Frau freundlich aussah, trotz ihrer Aufregung. Sie wirkte weder frivol noch eitel, einfach wie eine junge Frau guter Herkunft, von gutem Charakter und guter Erziehung.
Margaret schien etwas erleichtert. „Wir leben eine halbe Stunde vom Schloss entfernt, wissen Sie. Ich dachte nur, da Besucher so selten sind, möchte ich Sie gern kennenlernen.“
„Dann müssen Sie auch Sir Rex gut kennen“, meinte Blanche interessiert.
Margaret zögerte. „Ich fürchte, nein.“
Wie ist das möglich? dachte Blanche. „Ich weiß, dass er nicht gern Besucher empfängt, aber Sie sind doch direkte Nachbarn, also müssen Sie sich kennen“, beharrte sie.
Margaret errötete. „Ich habe Mr Farrow vor fünf Jahren geheiratet, und wir sind noch nie ins Schloss eingeladen worden. Kurz nach unserer Hochzeit haben wir ihn ein paarmal nach Torrence Hall eingeladen, aber er hat die Einladung immer abgelehnt.“
Blanche vermochte es kaum zu glauben.
„Aber wir bewundern Sir Rex sehr! Wir wissen, dass er gern für sich ist. Er kümmert sich sehr um die Bevölkerung und hat schon viel für die Grafschaft getan.“
Es ist schockierend, dachte Blanche, dass Sir Rex nicht einmal seine engsten Nachbarn zum Essen eingeladen hat und dass er keiner ihrer Einladungen nachgekommen ist. Blanche musste ihn dennoch verteidigen. „Er hat keine Dame des Hauses.“ Sie lächelte. „Sobald er heiratet, was er zweifellos tun wird, wird er auch Gäste empfangen. Vermutlich war er in London, als Ihre Einladung eintraf. Dennoch muss er mit Ihrem Mann gut bekannt sein. Sicher gehen sie zusammen zum Fischen und Jagen, nicht wahr?“
Margaret lächelte. „Wir haben eine Mine in Torrence Hill, also treffen sie sich hier und da, so wie bei der Versammlung heute. Aber abgesehen davon kennen sie einander nicht und sie haben nie zusammen gejagt, soweit ich weiß. Aber ich bin erst seit fünf Jahren hier“, fügte sie hastig hinzu.
Blanche wurde beinahe schwindelig. Diese junge Frau schien von angenehmem Wesen zu sein. War denn ihr Ehemann ein Ungeheuer? Da war es eher wahrscheinlich, dass ihr Gastgeber das Ungeheuer war.
Er war einsam. Das hatte er zugegeben. Nun, offensichtlich gab es eine Möglichkeit,
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