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Die Lady auf den Klippen

Die Lady auf den Klippen

Titel: Die Lady auf den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Joyce
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Moment lang erinnerte sie sich daran, wie sie auf dem Maifest wieder aufgewacht war, auf dem Boden liegend, im Arm ihres Vaters, umgeben von einem Dutzend Farmern und deren Frauen, deren Mienen entsetzliche Angst widerspiegelten. Dasselbe hatte sie empfunden, als sie im Zirkus aus der Ohnmacht erwachte. Diese Erinnerungen waren fest in ihr verankert.
      Sie versuchte, sie abzuschütteln. Es gab keinen Grund für Angst oder gar Panik. Es ist nur eine Versammlung, sagte sie sich. Und sie musste keine Menschenmengen meiden. Sie hatte noch nie ein Problem gehabt mit den Menschen in einem Ballsaal oder einem Museum. Was stimmte nicht mit ihr?
      Plötzlich sah sie die dunklen Bilder tief in ihrem Innern vor sich, Bilder, mit denen sie seit Jahren gelebt hatte, ohne sie zu beachten. Doch jetzt ruhten diese Bilder nicht mehr. Sie verlangten ihre Aufmerksamkeit, als winkten sie ihr zu, und sie wusste, diese Bilder waren beängstigend und voller Gewalt. Blanche fühlte einen heftigen Schmerz in ihrem Kopf.
      Was geschah hier? Panik stieg in ihr auf. Weshalb spürte sie so deutlich, dass diese Bilder endlich sichtbar würden, wenn sie sich nur genügend bemühte, nachdem sie so viele Jahre nur verschwommen in ihrem Hinterkopf geschlummert hatten? Sie hatte kein Interesse daran, sich an den Aufstand zu erinnern, der so lange her war.
      Dann hörte sie Sir Rex sprechen, ruhig und sicher.
      Es war, als hätte er seine Hand ausgestreckt und sie aufgefangen, ehe sie fallen konnte. Tief holte sie Luft. Die Anspannung ließ nach. Er war ein Mann, auf den jeder sich verlassen konnte. Ganz sicher auch sie. Noch einmal holte sie Luft, stieg dann die Stufen hinauf und betrat den Raum. Wie dumm zu glauben, dass die Geister eines zwanzig Jahre zurückliegenden Ereignisses auf einmal ihre Aufmerksamkeit verlangten!
      Blanche sah sich um. Vielleicht fünfzig oder noch mehr Minenarbeiter füllten den Raum. Voller konnte es nicht sein – jede Bank war bis auf den letzten Platz besetzt, und in den Gängen standen ebenfalls Männer. Sir Rex stand mit vier anderen vor dem Altar. Und in dem Augenblick, da sie ihn entdeckte, bemerkte auch er sie – und ihre Blicke begegneten sich.
      Als er seine Überraschung überwunden hatte, lächelte er.
      Erleichtert lächelte sie zurück. Doch noch immer fiel es ihr schwer zu atmen.
      Und dann begann ein Dutzend Männer gleichzeitig zu sprechen. Blanche war jetzt so angespannt, dass sie glaubte zu explodieren. Hektisch sah sie sich um. Sofort erkannte sie, dass sie nicht hätte hereinkommen sollen.
      Die verworrenen Bilder wirbelten nun in ihrem Kopf herum, als wollten sie jeden Moment deutlich sichtbar werden.
      Was war das? Was geschah hier? Sie konnte kaum atmen. Es war zu wenig Luft da. Und zu viel Geschrei.
      Blanche fühlte sich schwach. Sie musste hier heraus. Ohne etwas zu sehen, streckte sie die Hand aus und berührte eine Schulter. Sofort zuckte sie zurück. Über die Köpfe der Männer hinweg hielt sie nach Sir Rex Ausschau und versuchte, ihrer Panik nicht nachzugeben.
      „Der Stollen ist eingestürzt! Er wird es nicht erzählen, daher tue ich es! Er ist verdammt noch mal eingestürzt, und nur Gottes Wille ist es zu verdanken, dass auch der letzte Mann herauskam!“, rief jemand.
      Ein Dutzend wütender Stimmen brüllte zustimmend.
      Der Boden schien sich zu bewegen. Blanche wusste, sie musste hier fort, ehe sie in Ohnmacht fiel.
      Als sie sich umdrehte, spürte sie eine Hand. Sie blickte in ein Paar heller Augen – und sah den Hass darin. Sie schrie. Denn der Mann wollte sie packen, und dann war überall nur Blut.
      „Blanche!“
      Sie wehrte sich, wollte sich losreißen. Chaos brach aus. So viele Leiber, so viele Männer, sie stieß und trat um sich, aber sie wurde von hinten festgehalten. Das war zu viel. Sie haben Mama! Mama!
      „Blanche!“
      Benommen taumelte sie gegen die Wand, gehalten von Armen, die sie nicht loslassen würden, und drehte sich zu der Menge um. Fäuste wurden in die Luft gestoßen, Gesichter verschwommen. Forken und Schaufeln wurden gehoben.
      Irgendwie gelang es ihr endlich freizukommen. Sie stolperte zu den Stufen, fiel auf die Straße, spürte Steine und Kies durch ihre Handschuhe und auf ihren Wangen. Überall so viel Hass, so viel Blut, ich liege darin, und Mama ist fort …
      Sie rang nach Luft, aber es war zu spät. Die Schatten umfingen sie, Schatten von Gewalt und Tod – und dann war da nur

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