Die Lady in Weiß
einer Chance gibt, David oder einen der anderen zu retten ... “
„Natürlich musst du es versuchen.“ Sie seufzte noch einmal. „Es ist nicht einfach, ein Sparhawk zu sein, nicht wahr? Stell dir nur vor, unser Urgroßvater wäre ein Kesselflicker gewesen!“
„Wir Sparhawks als Kesselflicker?“ Jeremiah schnaubte verächtlich. „Wir wären alle längst an Langeweile gestorben.“
„Langeweile haben wir allerdings nicht.“ In ihren Augen glänzten noch immer Tränen. „Pass auf dich auf, ja? Wenn es noch einmal Krieg mit Frankreich gibt, wird es in ganz Europa drunter und drüber gehen.“
„Aber Desiree, ich bin Amerikaner, das betrifft mich alles nicht.“ Er wischte ihr mit seinem Taschentuch die letzten Tränen ab. „Wenn dieser Napoleon so dumm ist, sich noch einmal mit England anzulegen, dann wird er bekommen, was er verdient, und zwar sehr schnell. Du wirst sehen, falls es wirklich Krieg gibt, wird er im Nu beendet sein. Und dein Jack ist rechtzeitig zur Taufe seines Babys wieder zu Hause.“ „Ich bete, dass du recht hast.“ Ihr Lächeln ist noch etwas unsicher, aber wenigstens, dachte Jeremiah, lächelt sie. „Aber Jeremiah, bitte, bitte sag mir, dass du das alles nur für David tust und nicht für diese törichte Lady Byfield.“ Jeremiah sah die Besorgnis im Gesicht seiner Schwester und dachte an Caro Moncrief. Lady Byfield war töricht. Aber sie war auch sehr schön, bezaubernd in ihrer Unberechenbarkeit, und sie hatte ihn zum Lachen gebracht. Außerdem war sie verheiratet, und, was auch immer die Leute reden mochten, ganz offensichtlich liebte sie ihren Mann. Aber für Jeremiah zählte nur, dass sie ihn brauchte, und er würde sie nicht im Stich lassen.
Denn es gab noch etwas, das er Desiree gegenüber nie zugeben würde. Sie hatte ihn immer als ihren großen Bruder angesehen, auf dessen Stärke sie sich verlassen konnte. Wie sollte er ihr erklären, dass er unsicher geworden war? Wie sollte er ihr sagen, dass er Caro brauchte, weil sie ihn brauchte?
„Natürlich tue ich das alles nur für David“, sagte er leise und wünschte, diese Lüge wäre ihm erspart geblieben. „Komm, Schwesterherz, lass uns ins Haus gehen.“
Vorsichtig schlug Caro die Augen auf. Sie hatte einen unangenehm süßen Geschmack im Mund, und ihr Kopf tat so weh, dass ihr übel war. Was hatte sie nur zum Abendessen gehabt? Hoffentlich konnte sie das Nachtgeschirr unter ihrem Bett erreichen, ehe sie sich übergeben musste!
Schemenhaft erkannte sie, dass ein Mann sich über sie beugte. „Na, los jetzt, Tantchen, tu nicht so, als seiest du müde. Ich habe keine Zeit, stundenlang hier zu warten.“ „George?“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Krächzen. Vergeblich versuchte sie, sein Gesicht zu erkennen. „Verlass sofort mein Schlafzimmer, ehe ich dich hinauswerfen lasse! “ „Wie charmant, Caro. Du hast kaum die Augen offen, da erteilst du auch schon Befehle. Als ob du dazu geboren wärst! Wie schade, dass du es nicht bist, nicht wahr?“
Obwohl sich in ihrem Kopf noch alles drehte, versuchte sie, sich aufzurichten. „Du hast kein Recht, hier zu sein und mich zu beschimpfen. Wo ist Weldon? Warum hat er dich hereingelassen?“
George lachte und genoss ihre Verwirrung. „Weldon hat mich nicht eingelassen. Aber dich hat er hinausgelassen.“ Caro erkannte zu ihrem Unbehagen, dass er recht hatte. Allmählich erinnerte sie sich. Sie hatte mit George auf den Stufen vor Blackstone House gestritten. Dann wollte sie gehen, doch er hatte sie gepackt. Sie erinnerte sich an das Tuch auf ihrem Gesicht und auch an den süßlichen Geruch.
„Du bist mein Gast, Caro“, fuhr er fort. „Und ich werde ein guter Gastgeber sein, solange du hier bist. “
Caros Unbehagen wuchs, während sie sich umsah. Die schräge Decke mit den Wasserflecken über ihrem Kopf gehörte zu keinem Raum, den sie kannte, und durch die schmutzige Scheibe des einzigen Fensters konnte man nur ein winziges Stückchen Himmel sehen. Die finster dreinblickende Frau, die mit verschränkten Armen neben der Tür stand, erinnerte in nichts an ihre eigene, fröhliche Zofe. Die Laken unter ihr waren fleckig und feucht, das Bett war schmal und hart wie das eines Dienstboten, ohne Vorhänge und Kissen, und unter der groben Decke trug Caro nur ihr Unterhemd anstelle eines ihrer Batistnachthemden. Mit einem empörten Aufschrei zog sie die Decke bis unters Kinn hoch und warf einen wütenden Blick auf George, der auf dem einzigen Stuhl neben ihrem Bett
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