Die Lady in Weiß
Tisch zurück, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. „Und was ihn betrifft, bist du es ja tatsächlich. Sieh dich an! Niemand wird dich jetzt noch für eine Countess halten! “
Sie lächelte und nahm noch ein Stück von ihrem Kuchen. Als sie Jeremiah Sparhawk jetzt so sah, mit entspannten Gesichtszügen und freundlich strahlenden Augen, fiel es ihr leicht, nicht mehr an seine Pistolen und sein langes, blutverschmiertes Messer zu denken. Vielleicht war er wirklich nicht besser als der Straßenräuber, den er gespielt hatte. Aber er konnte sich durchsetzen, und das ließ ihn geradezu perfekt für die Aufgabe erscheinen, die sie für ihn vorgesehen hatte. So ritterlich, wie er sich bisher verhalten hatte, würde er ihre Bitte wohl kaum abschlagen. Wenn sie sich nur selbst davon überzeugen könnte, dass ihre eigenen Gefühle ihm gegenüber lediglich geschäftlicher Natur waren!
Zum ersten Mal wünschte sie sich, mehr über die Welt und die Männer zu wissen. Bevor sie Captain Sparhawk getroffen hatte, war es ihr leichtgefallen, zwei Arten von Männern zu unterscheiden: Da gab es die wenigen Liebenswürdigen wie Frederick und Jack Herendon, die sie mit Respekt und Höflichkeit behandelten, und dann gab es noch all die anderen, die mit einer unverschämten Mischung aus Verachtung und Begierde auf sie herabblickten. Aber kein Mann hatte sie je so behandelt wie dieser hochgewachsene Amerikaner, der sie jetzt neckte und reizte und im nächsten Augenblick sein Leben für ihre Ehre einsetzte. Es verwirrte sie zwar, aber es gefiel ihr. Er gefiel ihr, mehr, als es sich für sie als Fredericks Gemahlin schickte.
Jeremiah ergriff ihre Hand, und sie spürte die Wärme seiner Berührung in ihrem ganzen Körper. „Sie sind so still“, stellte er besorgt fest. „Sind Sie müde, oder beschäftigt Sie noch etwas anderes?“
„Ich bin todmüde.“ Wie konnte sie zugeben, dass er es war, der ihre Gedanken beschäftigte? Verlegen entzog sie ihm die Hand. Als sie jedoch an ihrem Apfelwein nippte, trafen sich ihre Blicke über den Becherrand hinweg. Sein schwarzes Haar war an den Schläfen schon etwas ergraut, und die tiefen Falten, die um seine Augen sichtbar wurden, wenn er lächelte, zeugten davon, dass er schon vieles erlebt hatte, und nicht nur Gutes. Aber sie hütete sich, ihn danach zu fragen. Denn sie hatte selbst einige Geheimnisse, die sie lieber für sich behielt.
„Dann werde ich uns wohl am besten eine Unterkunft für den Rest der Nacht besorgen. Obwohl es mir hier, ehrlich gesagt, ganz gut gefällt.“
Sein Lächeln galt in diesem überfüllten, lauten und verrauchten Raum ihr ganz allein. Es war eine Einladung, die sie nicht annehmen durfte. Sie musste dies hier beenden, solange sie noch konnte.
„Ich sagte Ihnen bereits, dass ich mich für Ihre Freundlichkeit erkenntlich zeigen werde, indem ich Ihnen sage, was ich über Ihren Freund weiß. Zuerst aber muss ich Ihnen von Frederick erzählen.“
„Das brauchen Sie nicht“, entgegnete Jeremiah rasch, vielleicht ein wenig zu rasch. Aber er wollte nicht schon wieder etwas über Caros vortrefflichen Ehemann hören und davon, wie sehr sie ihn liebte. Nein, darüber wollte er ganz gewiss nichts mehr hören. „Sie haben mir schon mehr als genug erzählt, außerdem möchte ich nicht, dass Sie über etwas sprechen, das Ihnen Schmerz bereiten könnte.“
Selbstsüchtiger, heuchlerischer Bastard! Er konnte nicht glauben, dass er das tatsächlich gesagt hatte.
„Nein, Captain, ich habe Ihnen so gut wie gar nichts erzählt.“ Seufzend schob sie den Zinnteller zur Seite und faltete die Hände. Die altmodische Haube ließ sie sehr jung erscheinen. Er hatte es durchaus ernst gemeint, als er sagte, dass niemand sie jetzt für eine Adlige halten würde. „Fredericks Mutter, die verwitwete Countess, lebt noch, obwohl sie schon sehr alt ist und sehr krank. Ich habe sie nie kennengelernt. Bevor ich Fredericks Frau wurde, gab es dafür keinen Grund, und als sie erfuhr, dass wir heiraten wollten, verließ sie England und ging nach Neapel, damit sie mich nicht offiziell anerkennen musste. Es war - es ist sehr schmerzlich für Frederick, obwohl ich volles Verständnis dafür habe.“
Doch die Art und Weise, in der Caro den Blick senkte und die Hände aneinander rieb, zeigte Jeremiah, dass sie in Wahrheit keinerlei Verständnis dafür hatte. Die Verachtung der älteren Lady Byfield verletzte sie genauso wie Frederick. Aufgetakelte alte Hexe, dachte Jeremiah zornig. Seine
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