Die Lady in Weiß
mochte sie noch so verhüllt sein.
An Deck standen auch Körbe mit lärmenden Küken und einige Ziegen, deren unverkennbaren Geruch der Wind zu Jeremiah trug. Das Schiff hat mehr Ähnlichkeit mit einer Arche als mit einem Handelsschiff, dachte er grimmig. Und wie kurz die Überfahrt auch sein mochte - Tripolis war kaum zweihundert Meilen von Neapel entfernt -, sie konnte gar nicht kurz genug sein.
„Ah, signore Capitano Sparhawk“, sagte ein kleiner dicker Mann lächelnd. „So viel Ehre wird mir selten zuteil. Noch ein Kapitän an Bord meiner cara Colomba!“
„Captain Tomaso“, entgegnete Jeremiah betont unverbindlich. Der andere Kapitän trug an seinem kleinen Finger einen Ring mit einem Opal, so groß wie ein Taubenei, und sein dunkles Haar war mit einem silbernen Band zurückgebunden. Aber unter seinen Fingernägeln sah man schwarze Halbmonde, und die Manschetten seines Hemdes starrten vor Schmutz. Das sagte Jeremiah genug über den Mann. Wenigstens sprach er Englisch, aber seit Nelsons Eroberung schienen die meisten Neapolitaner, die auf dem Meer Handel trieben, zumindest ein paar Brocken dieser Sprache zu verstehen. „Ein schöner Tag zum Segeln.“
„Bellissima!“ Sein Lächeln wurde noch breiter, und er klopfte sich mit beiden Händen auf den Bauch. „Aber warten Sie, bis Sie sehen, wie mia dolce Colomba übers Wasser gleitet! Dann werden Sie wissen, was Vollkommenheit ist! “ Er rief seinen Männern ein paar Befehle zu, und die Segel der Feluke wurden gehisst. Jeremiah nahm seinen Hut ab und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. Es war heiß in der Sonne, und der Schlafmangel verursachte ihm Kopfschmerzen. Das Beste würde sein, er machte sich auf die Suche nach seiner Kabine und legte sich ein wenig hin. Verdammt, wie sehr er Caro vermisste!
„Sehen Sie, Capitano, wie sie fliegt?“, prahlte Tomaso. „Sie ist wie ein Engel!“
Jeremiah konnte diese Ansicht nicht teilen. Seiner Meinung nach lag die Colomba träge im Wasser, und die Ruder zu beiden Seiten boten dem Wind viel zu viel Widerstand. „Ich gehe nach unten,Tomaso.“
„Allein, oder? Sie haben Ihre graziosa amante nicht mitgebracht? Man sagte mir, Sie würden es tun.“ Er küsste seine Fingerspitzen und zwinkerte. „Eine bellissima donna!“
„Sie wird nicht kommen.“ Und das ist auch gut so, dachte Jeremiah. So unterschiedlich Bertie und Tomaso als Schiffsführer auch waren, so hatten sie doch beide etwas nicht näher Bestimmbares gemeinsam, das Jeremiah veranlasste, auf der Hut zu sein. „Dies ist keine Reise für eine Lady.“
„Sie wird nicht kommen?“ Tomaso sah Jeremiah mitleidig an und schnalzte mit der Zunge. „Armer Kerl, so verspottet zu werden! So sind die Frauen, wankelmütig und grausam! “ „Diese Lady nicht“, sagte Jeremiah kurz. Er hängte sich die Segeltuchtasche mit seinen Habseligkeiten über die Schulter. „Ich gehe nach unten.“
„Ach, ihr Engländer!“, rief Tomaso, ohne sich im Geringsten gekränkt zu fühlen, „immer auf der Suche nach einem
anderen Platz, an dem ihr euch niederlassen könnt! “
Jeremiah machte sich nicht die Mühe, ihn zu berichtigen. Nicht nur, weil er das Gespräch nicht fortsetzen wollte, sondern auch, weil es nützlich sein könnte, für einen Engländer gehalten zu werden. Ein Engländer, ausgerechnet! Wie hätte Caro darüber gelacht!
Ein magerer kleiner Schiffsjunge zeigte ihm seine Kabine, einen winzigen Verschlag halb unter der Wasserlinie. Er war einmal mehr dankbar, dass Caro dies hier erspart blieb. Müde befestigte er seine Hängematte, und wenig später war er eingeschlafen.
Als Jeremiah erwachte, war es bereits dunkel. Er wusste nicht gleich, wo er sich befand, und entsetzt griff er nach seinem Messer. Dann fiel ihm alles wieder ein. Die Feluke, Tomaso, Neapel, Tripolis, David und Caro. Immer wieder Caro. Er versuchte, den Schlaf abzuschütteln, sich zu beruhigen. Wenigstens hatte er keine Albträume gehabt, kein Hamil hatte ihn verfolgt, und seufzend steckte er das Messer zurück.
Von oben hörte er ein Gewirr von aufgeregten Stimmen, doch er konnte die Worte nicht verstehen. Er hörte Tomaso heraus, der anscheinend versuchte, sich für irgendjemanden einzusetzen. Er rollte sich aus der Hängematte. Sein Mund war trocken, und das Hemd klebte an seiner Brust. Er beschloss, an Deck zu gehen. Vielleicht würde der Wind dafür sorgen, dass er wieder einen klaren Kopf bekam.
Im Licht einer Öllampe, die am Mast befestigt war, konnte Jeremiah
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