Die Lady mit dem Bogen
die Königin auf sie zukam. An Königin Eleanor war alles perfekt, von ihrer gebieterischen Haltung bis zu ihrer Schönheit, die ihr auch in einem Alter geblieben war, in dem die meisten Frauen schon faltig und verbraucht waren. Als die Königin sie willkommen hieß und sie bat, sich zu erheben, klang ihre Stimme wie eine liebliche Weise in Mallorys Ohren.
»Wie geht es Euch, Lady Mallory?« Sie lächelte voller Wärme. »Ich hörte, dass Ihr als ersten Beweis Eurer Kampfkraft bereits ein paar Diebe besiegt habt.«
»Mit Hilfe von Saxon Fitz-Juste.« Ein widerwillig geäußertes Eingeständnis, doch hätte sie die Königin nie belogen.
»Mich dünkt, dass ihr beide ein gutes Gespann abgebt. Das ist sehr günstig, da ich die Fertigkeiten, die Ihr beide besitzt, zum Schutz meines Lebens brauche.«
»Euer Leben ist in Gefahr?« Mallory war fassungslos. Sie hatte nicht geahnt, dass die Königin die Abtei aufgesucht hatte, weil jemand ihr nach dem Leben trachtete. Warum war die Königin nicht hinter den Klostermauern geblieben, wo jede der Schwestern ihr Leben für sie geopfert hätte? Eine so freimütige Frage aber konnte Mallory nicht stellen.
»Es gab Drohungen, und wenn …«
Die Tür zum Vorraum sprang auf. Ein Mann stürzte herein. Die Damen der Königin schrien auf, und die Königin rang sichtlich um Fassung, als der Mann so schnell auf sie zueilte, dass der Köcher auf seinem Rücken hüpfte.
Saxon griff nach seinem Schwert, Mallory aber, die ihren Blick nicht von dem Eindringling ließ, legte einen Pfeil an die Bogensehne und schoss ihn ab, ehe der Unbekannte einen weiteren Schritt tun konnte. Er traf ihn am Ärmel und nagelte ihn an dem Schrank hinter ihm fest. Er wollte den Pfeil herausziehen, erstarrte aber, als sie einen weiteren Pfeil auf ihn anlegte.
Ihr Magen krampfte sich vor Angst zusammen, als sie das Entsetzen in seinen Augen sah. Er glaubte, sie stünde im Begriff, ihn zu töten. Konnte sie es? Konnte sie das tun, dessen sie sich gerühmt hatte? Konnte sie überhaupt etwas tun, um der Königin zu dienen?
Sie beruhigte ihre zitternde Hand und rief, von der Hoffnung bewegt, sie würde den Befehl der Königin befolgen können: »Ein Wort von Euch, Königin Eleanor, und er ist tot.«
kapitel 4
S axon stieß hinter Mallory einen erstaunten Pfiff aus. Zweifelte er an ihrer Drohung? Oder, schlimmer noch, zweifelte er an ihrer Treffsicherheit? Sie gab der Versuchung nicht nach, ihn anzusehen und eine Antwort zu fordern. Sie starrte den Mann an, der von ihrem Pfeil an den Schrank genagelt wurde. Er begegnete ihrem Blick mit einer Mischung aus Wut und Angst. Seine Hand hob sich zum Pfeil, erstarrte jedoch, als sie die Bogensehne fester spannte.
Etwas stieß gegen ihr Bein.
Sie blickte nicht hinunter.
Wieder stieß es zu. Dann hörte sie Geschnüffel, etwas bewegte sich an ihrem Fuß entlang.
»Hund, verschwinde«, befahl sie zähneknirschend.
Der Hund, der nicht sehr groß sein konnte, setzte sich auf ihren rechten Fuß und stieß ein leises Winseln aus.
War es der Hund des Eindringlings? Aber welcher Dieb führte einen Hund mit sich und erhöhte damit das Risiko, ertappt zu werden?
Sie verdrängte jeden Gedanken an den Hund, kein leichtes Unterfangen, da dieser halb auf ihrem Fuß und halb daneben hockte und nicht aufhörte zu winseln. Sie hatte gelernt, sich trotz viel größerer Ablenkungen zu konzentrieren.
Drei Herzschläge lang rührte sich keiner der Anwesenden.
Leise Schritte ließen die Binsenstreu auf dem Boden rascheln, und wieder gab Mallory der Versuchung nicht nach, über die Schulter zu blicken. Wer näherte sich ihr?
Sie atmete erleichtert auf, als sie die Königin sagen hörte: »Gut gemacht, Lady Mallory.«
»Danke.« Sie wusste nicht, was sie sonst hätte sagen sollen, während sie noch immer den Pfeil auf den Mann gerichtet hielt.
»Wer seid Ihr, dass Ihr in meine Privatgemächer eindringt?«, forderte die Königin Auskunft.
»Bertram de Paris, ein Bote.« Angstvolles Zähneklappern ließ seine Worte undeutlich klingen.
»Von wem ausgesandt?«
»Vom König von Frankreich.«
Mallory holte scharf Luft und presste fest die Lippen aufeinander, damit das leise Geräusch ihren Schock nicht verraten konnte. So lange hatte sie die Abschusspose noch nie halten können. In ihrer Schulter kündigte sich ein Krampf an, und sie hatte keine Ahnung, wie der nächste Befehl der Königin lauten mochte. Der König von Frankreich war Gegner ihres Gemahls, zugleich aber Verbündeter
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