Die Lady mit dem Bogen
bedroht gefühlt und um ihr Leben bangen müssen, wandte eine leise Stimme in Mallorys Kopf ein.
Auf eine Handbewegung der Königin hin bückte sich Bertram nach seinem Bogen, den er fallen gelassen hatte, und folgte ihr durch das große Gemach. Er warf noch einen finsteren Blick in Mallorys Richtung, sie aber beachtete ihn nicht, als sie sich bückte und den Kopf des Hundes streichelte, der sie wieder gegen ihr Bein stupste. Eine finstere Miene war für sie nicht weiter beunruhigend, da sie diese von ihrem Vaterhaus her gewohnt war. Die meist folgenden herben Worte waren es, die ihre Seele schmerzlich trafen.
»Lady Mallory?«
Sie hob den Kopf und sah vor sich eine Frau, die es an Eleganz fast mit der Königin aufnehmen konnte. Ein golden gesäumter Schleier bedeckte ihr Haar, und ihre Züge ähnelten jenen der Königin. Mallory, die unsicher war, wen sie vor sich hatte, deutete einen halben Knicks an.
»Es ist beispielhaft, mit welchem Feuereifer Ihr über die Sicherheit meiner Mutter wacht, Lady Mallory«, sagte die Frau mit sanftem Lächeln.
Mutter! Die Dame musste eine der Töchter der Königin sein, aber welche?
Als hätte sie diese Frage laut geäußert, hörte Mallory Saxon leise sagen: »Marie, Comtesse de Champagne.« Marie war keine Tochter König Henrys, sondern die Erstgeborene aus Eleanors Ehe mit dem französischen König.
Er drehte sich um und ging zur Königin, ehe Mallory auch nur nicken konnte. Er schlenderte so sorglos davon, als kümmere ihn einzig und allein, was für ein Lied er als Nächstes schaffen sollte. War er wirklich nicht mehr als einer der Höflinge, die das angenehme Leben am Königshof zu Poitiers genossen? Hätte es sich so verhalten, wäre es einfacher gewesen, doch hatte sie erlebt, wie er gegen die Männer Jacques Malcoeurs gekämpft hatte. Sie wusste, dass er in Wahrheit mehr war als ein Troubadour, der zur Unterhaltung der Damen die Laute schlug. Er war ihren Angreifern wie ein geübter Kämpfer gegenübergetreten. Warum aber begnügte sich ein Mann wie er damit, Lieder vorzutragen, anstatt seinem Lehnsherrn zu dienen? Was versuchte er, hinter seiner Fassade zu verbergen?
»Gebt Acht, dass Euch die Besorgnis meiner Mutter nicht in die Irre führt«, fuhr Comtesse Marie fort.
Mallory sah die Tochter der Königin an. »Sie schwebt nicht in Gefahr?«
Der Blick der Comtesse wurde hart. »Wir alle sind in Gefahr, solange die zwei Henrys einander bekämpfen und um die Krone Englands sowie um die Herrschaft über das Geschick ihrer Untertanen ringen. Deshalb hat sie Euch kommen lassen. Ihre Wachen können nicht immer um sie sein. Sie braucht zu ihrem Schutz eine Dame.«
»Wie wahr. Warum also ratet Ihr mir, mich von ihrer Besorgnis nicht irreführen zu lassen?«
»Ich spreche nicht vom Kampf König Henrys des Älteren mit seinem Sohn, sondern von seiner Geliebten.«
Ein bitterer Geschmack füllte Mallorys Mund. Sie ballte die Hände zu Fäusten. Geliebte! Sie wünschte, das Wort wäre nie erfunden worden, da diese harmlose Bezeichnung nicht auszudrücken vermochte, wie viel Schmerz und Kummer eine Familie durchlitt, wenn ein Ehemann und Vater die Treue brach. In St. Jude’s Abbey wurde der Name Rosamund de Clifford nie genannt. Der jungen Frau wurde nicht verziehen, dass sie das Herz des Königs gestohlen und den Platz seiner rechtmäßigen Gemahlin im Ehebett eingenommen hatte.
»Ich verstehe«, sagte sie, wohl wissend, dass sie der Comtesse antworten musste.
»Das wundert mich nicht. Nun aber, Lady Mallory, solltet Ihr nach der langen Reise ausruhen. Wenn Ihr morgen Euren Dienst bei der Königin antretet, genügt es.« Mit sanftem Lächeln ging Marie zu der Königin, die noch immer mit dem Boten des Königs sprach.
Mallory stieg Röte ins Gesicht, während sie innerlich zu Eis gefror. Die Comtesse hatte sich anmutig entschuldigt, ohne ihre wahren Gedanken auszusprechen. Eine Tochter Lord de Saint-Sebastians würde um die Untreue ihres Vaters wissen.
Mallory löste die Bogensehne und verdrängte jeden Gedanken an ihren Vater. Sie durfte sich nicht von Gedanken aus der Vergangenheit ablenken lassen, wenn die Königin ihrer Hilfe bedurfte. Sie blickte durch den Raum und entdeckte, dass Saxon und die anderen vier, die die Königin nach St. Jude’s Abbey begleitet hatten, sich um den Boten des Königs, die Königin und ihre Tochter scharten.
Ein plötzlicher Schmerzanfall durchschoss Mallorys Kopf, und ihr Kampfgeist entströmte ihr wie ein Sturzbach. Sie sah Saxon
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