Die Lady mit dem Bogen
als sie nach Poitiers reiste. Sie erfüllte den Wunsch der Königin und konnte sich wie in der Abtei durch Unterricht Ablenkung verschaffen.
Als sie nach einem Stück Holz griff, rief Ivon: »Nicht dieser Haufen. Diese Holzreste bewahre ich für Saxon Fitz-Juste auf.«
»Saxon!« Mit einem Ruck zog sie ihre Hand zurück, als hätte jemand das Holz in Brand gesetzt. »Wozu braucht er diese Holzstreifen?«
Ivon saß wieder über seine Arbeit gebeugt da. »Wozu ein Spielmann Holz eben braucht, nehme ich an. Die Laute ist ein Holzinstrument.«
Sie fühlte sich wie zurechtgewiesen, als sie zu einem anderen Holzhaufen ging, um herauszusuchen, was sie für ihre Schülerinnen brauchen konnte. Was sie für sich brauchte, war ein seelisches Gleichgewicht, das nicht unweigerlich beim Klang von Saxons Stimme oder auch nur bei der Nennung seines Namens erschüttert wurde.
Ich werde nicht zulassen, dass meine eigenen Begierden mich bezwingen!, gelobte sie sich. Ich werde mich nicht wie meine Mutter von einem Mann zum Narren halten lassen.
Sie musste sich jede Regel in Erinnerung rufen, die man sie im Kloster gelehrt hatte, um angesichts großer Gefahren Gleichmut und Haltung zu bewahren, doch hatte sie nie geahnt, dass es ihre größte Herausforderung sein würde, ihre Sehnsucht, wieder in Saxons Armen zu liegen, zu bezwingen.
Am Ende der Woche wünschte Mallory, sie hätte nie eingewilligt, die Damen der Königin zu unterrichten. Als sie ihr Einverständnis gegeben hatte – und auch jetzt noch – war es ihr vernünftig erschienen, dass die Frauen lernen sollten, sich und die Königin zu verteidigen, aber nur einige wenige schienen das Training ernst zu nehmen, das sie jeden Nachmittag auf einer Wiese unweit des Flusses abhielt. Sie sahen diese Zusammenkünfte eher als eine Fortsetzung der mit Flirts und Geplauder verbrachten Mußestunden im Palast an.
Sie argwöhnte, dass der Grund für die mangelnde Konzentration der Damen eine Gruppe von Herren war, die sich stets einfand, um im Gras sitzend zuzuschauen. Die Männer ließen Flaschen kreisen, und mit jeder Flasche, die sie leerten, wurde ihr Lachen zügelloser.
Auf der anderen Seite der Wiese lag Chance, den Kopf auf den Pfoten, und behielt alle im Auge. Mallory reizte es, dem Hund zu befehlen, er solle die Männer, die sich benahmen als hätten sie nicht mehr Verstand als neugeborene Lämmer, wie eine Schafherde fortzutreiben.
Anstatt dieser Phantasie nachzugeben, warf sie einen Blick zurück auf ihre Schülerinnen, fünf an der Zahl, die regelmäßig am Training teilnahmen. Anfangs war es fast ein Dutzend gewesen. Lady Elita war unter denen, die noch immer kamen, was sie erstaunte, da die schöne Blondine sich bei ihrer ersten Begegnung so kühl verhalten hatte. Als sie Lady Elita das erste Mal ›Schwester‹ zu Lady Yolanda sagen hörte, nahm sie an, Lady Yolanda hätte Lady Elita zu diesen Übungsstunden ermuntert. Lady Diamanta, Schwester eines Gardisten der Königin, stand neben der großen brünetten Lady Violet. Lady Oriel, die fünfte, sprach niemals, wenn nicht eine der anderen sie anredete, was selten der Fall war.
»Ist heute der Tag?«, fragte Lady Elita in dem ungeduldigen Ton, den sie bei jeder Frau außer der Königin anschlug.
Mallory blickte auf den kurzen Bogen, den sie hielt. Die Frauen waren darauf aus, gespannte Bogen zu benutzen, anstatt Grundlagen zu lernen, beispielsweise wie man den Bogen richtig hält. Die dünnen Äste, die Mallory als ›Bogen‹ gesammelt hatte, lagen um die Frauen herum verstreut. Sie sah, dass Lady Violet auf ihren Bogen getreten war.
»Ja, heute ist der Tag«, sagte Mallory.
Ihre Worte wurden mit Jubel aufgenommen. Nicht von den Frauen, sondern von den männlichen Zuschauern. Sie versuchte sie zu ignorieren, als Chance zu kläffen anfing. Dass Saxon sich nicht unter den Männern befand, war hilfreich, doch konnte sie sich nicht verkneifen, sich zu fragen, wo er sein mochte. Er saß oft unter ihnen, lachte, ließ seine Laute erklingen und erzählte erstaunliche Geschichten, die unmöglich wahr sein konnten.
Sie gebot dem Hund mit einer Handbewegung, still zu sein. Dann drehte sie sich wieder zu den Frauen um und hielt den Bogen vor sich. »Das ist eine Waffe. Ihr müsst sie pfleglich behandeln, damit sie Euch nicht im Stich lässt, wenn Ihr sie braucht. Wie Ihr seht, habe ich das Holz eingewachst.« Sie drehte den Bogen so, dass das Holz in der durch dichter werdendes Gewölk dringenden Sonne glänzte. »Auch
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