Die Lady mit dem Bogen
man einen Ritter gebührend anspricht.«
»Möchtest du derjenige sein, der ihr rät, sie solle ihr Auftreten ändern? Eine armselige Vergeltung dafür, dass sie half, unsere Angreifer zu vertreiben.«
»Sie sollte sich nicht so gebärden, als wäre sie einem Ritter ebenbürtig.«
»Sie ist uns nicht ebenbürtig.« Saxons Kopf schmerzte, und er wusste, dass er seinen Bruder nicht hätte reizen sollen. Doch war sein Frust so groß wie jener Godards, auch wenn er sich gegen ein anderes Ziel richtete. Wer waren die Männer, die sie heute angegriffen hatten? Er musste herausfinden, wo Malcoeur und seine Getreuen sich verbargen, wenn sie nicht umherstreunten und nach Opfern Ausschau hielten.
»Dann sollte man ihr beibringen, dass sie jenen, die ihr überlegen sind, mit Respekt begegnet.«
»Überlegen?« Saxons Lachen war so schneidend, dass seine Kehle schmerzte. »Wir sind ihr nicht überlegen. Sie ist eine der Damen der Königin.«
Godard drehte sich schaudernd um und sah zu Mallory hin, die mit dem Wachposten sprach. »Die Königin hat eine Dame, die zur Selbstverteidigung einen Bogen schwingt?«, fragte er in ersticktem Ton.
»Nicht nur einen Bogen. Du hast sie gesehen.« Er sagte nichts mehr. Die Königin hatte einen Eid von jedem der Männer gefordert, die mit ihr nach St. Jude’s Abbey gereist waren, mit niemandem darüber zu sprechen, wem sie begegnet waren und was sie gehört hatten.
»Ich werde vielleicht länger hierbleiben, als ich dachte«, sagte der Ritter finster. »Ich hatte keine Ahnung, dass die Königin Damen wie Mallory de Saint-Sebastian um sich schart.«
»Es war für uns alle eine Überraschung.« Wieder sah Saxon zu Mallory hin. »Eine Überraschung in vielfältigerer Hinsicht, als ich gedacht hätte.«
»Lasst mich helfen«, sagte Mallory, als sie den Raum betrat, in dem nur eine einzige Kerze brannte und die Dunkelheit außerhalb des vom Mond beschienenen Bereiches auf dem unebenen Steinboden zurückdrängte.
Saxon, der Sir Godards Bein bandagierte, blickte im Dunkeln auf. »Was macht Ihr hier?«
»Ich wollte mich vergewissern, ob Eure Wunden versorgt werden.« Sie hielt ihm eine Schüssel mit heißem Wasser hin. »Braucht Ihr noch mehr?«
»Ja, danke.«
Sir Godard schüttelte den Kopf. »Fort mit Euch, Weib! Wir kommen allein zurecht!« Seine Lippen verzogen sich verächtlich. »Genügt es Euch nicht, Euch als Ritter zu gebärden? Wollt Ihr jetzt noch den Knappen spielen?«
Sie stellte die Schüssel auf den Tisch, an dem Sir Godard saß, und verließ den Raum. Sich auf die zitternde Unterlippe beißend blinzelte sie Tränen fort, von denen sie geglaubt hatte, sie wären längst versiegt. Zu glauben, man könne jemals den Demütigungen der Vergangenheit entfliehen, war hoffnungslos. Im Kloster war es so einfach gewesen, ihnen zu entkommen, doch hatten sie nur darauf gewartet, sich außerhalb der Klostermauern ihrer wieder zu bemächtigen.
Die Schmähungen aus dem Munde Sir Godards hatten sie völlig unerwartet getroffen. Im Licht des Palastes war sie zunächst über die Ähnlichkeit der zwei Männer erschrocken. Als Saxon erklärt hatte, dass sie Brüder wären und im Alter nur durch wenige Minuten getrennt, hatte sie beide erneut gemustert. Saxon war größer und ein wenig breiter in den Schultern. Sir Godards Gesichtsausdruck war wilder, sein Leibesumfang mächtiger, Zeichen dafür, dass er ein bequemes Leben und allzeit gutes Essen gewöhnt war.
Als sie Saxon ihren Namen rufen hörte, wollte sie weitergehen, um den Fragen auszuweichen, die er nun unweigerlich stellen würde. Ihr Verhalten würde aber seine Neugierde nur steigern.
Sie drehte sich um und sah Saxon, der ihr im dunklen Gang nacheilte. Unwillkürlich dachte sie daran, wie seine Augen unmerklich schmäler geworden waren, als er sie in die Arme genommen hatte, ehe sie am Fluss davongegangen war. Als hätte er Angst, ihr zu zeigen, wie es wirklich um seine Gefühle bestellt war, hatte sie vermutet, besonders, als er sie küsste. Die Berührung seiner Lippen hatte wenig über ihn verraten, aber zu viel über sie.
Sie sollte sich nicht nach den Küssen eines Mannes sehnen. Männer waren treulose Kreaturen. Wenn eine so großartige Frau wie die Königin – oder Lady Beata de Saint-Sebastian – einen Mann und seine Gefühle nicht für immer an sich zu binden vermochte, welche Hoffnung blieb dann anderen Frauen? Schon in St. Jude’s Abbey hatte sie beschlossen, Männer und die Versuchungen, die sie darstellten, zu
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