Die Lady mit dem Bogen
Jacques Malcoeur«, sagte sie verächtlich.
»Mallory«, warnte Saxon in scharfem Flüsterton.
Sie schenkte ihm keine Beachtung, während sie den Dieb unbeirrt anblickte. »Warum denkt Ihr nur an kleine Gaunereien, wie sie Euch unten am Fluss gelingen, wenn Ihr doch mit etwas Phantasie viel mehr gewinnen könnt.«
»Phantasie?«, fragte Malcoeur stirnrunzelnd. »Ich kann mir viel zusammenphantasieren.«
»Habt Ihr deshalb Rüstungen für Eure Leute gestohlen, die sie für ihre Beutezüge am Fluss anlegten?«
»Rüstungen? Meine Männer haben keine. Woher sollen sie ritterliche Gewandung bekommen?«
Sie faltete die Hände im Schoß. Der schockierte Ton des Diebes ließ den Schluss zu, dass er wahrscheinlich die Wahrheit sagte. Wenn aber die Männer in Kettenhemden, die sie und Godard angegriffen hatten, nicht zu Malcoeur gehörten, in wessen Dienst standen sie dann?
Von Malcoeur würde sie es nicht erfahren, deshalb sagte sie: »Wie Ihr seht, kann auch ich mir viel zusammenphantasieren. Diebe in ritterlicher Rüstung ist eine ungewöhnliche Vorstellung. Könnt Ihr Euch etwas ähnlich Ungewöhnliches vorstellen? Könnt Ihr Euch vorstellen, vom König von Frankreich belohnt zu werden?«
Saxon starrte Mallory an. Hatte sie den Verstand verloren? Andere Frauen waren in Ohnmacht gefallen, wenn sie die Gräuelmärchen hörten, die man sich im Palast über Malcoeur erzählte, und wenn sie zu sich gekommen waren, hatte man ihnen versprechen müssen, sie nie wieder dermaßen zu erschrecken. Hatte Malcoeurs hinterhältiger Überfall Mallory um den Verstand gebracht? Er wollte es nicht glauben. Ihr beherztes Verhalten, als d’Ambroise in der Krypta von Saint-Porchaire seinen Bruder niederstach, hatte gezeigt, aus welchem Holz sie geschnitzt war.
Wenn sie aber nicht den Verstand verloren hatte, warum brachte sie König Louis’ Namen ins Spiel?
Malcoeur starrte sie an. »Mal ehrlich … eine Belohnung wie diese übersteigt alles, was ich mir vorstellen kann, reizt aber meine Neugierde, Mylady. Los, sprecht weiter.« Der Dieb beugte sich lächelnd zu ihr. Einen Arm auf sein Knie gestützt, hob er eine Haarsträhne an, die ihren geflochtenen Haaren entwischt war, und spielte damit.
Saxon schlug ihm auf die Hand. Als Malcoeur nach seinem Dolch fasste, sagte Mallory: »Lasst das, ihr beiden! Wir müssen zusammenhalten, anstatt uns zu bekämpfen.«
Der Schlag auf den Kopf musste ihrem Verstand tatsächlich stark zugesetzt haben. Mit dem Dieb gemeinsame Sache machen, der ihnen nach dem Leben getrachtet hatte! Als sie ihre Hand mit leichtem Druck auf Saxons Arm legte, tat sie es, ohne ihn anzusehen. Das war nicht nötig. Er hatte verstanden. Er sollte ihr die Verhandlungen mit Malcoeur überlassen. Die Idee war ihm widerwärtig, sein schmerzender Kopf aber lieferte ihm keinen anderen Fluchtplan.
»Ihr wisst vielleicht nicht, was ich weiß«, sagte Mallory mit ruhiger, Aufmerksamkeit heischender Autorität. »So weiß ich, dass keiner der Könige, die um die Herrschaft über England, das Poitou und Aquitanien kämpfen, den Tod der Königin wollen. Und doch hat jemand versucht, sie zu töten.« Sie lächelte kühl. »Weder Saxon Fitz-Juste noch mir ist es gelungen, die Identität dieses Schurken aufzudecken oder festzustellen, in wessen Auftrag er handelte. Vielleicht ist der Grund darin zu suchen, dass wir zu wenig Menschen kennen, die zu dieser ruchlosen Tat fähig wären.«
»Ich kenne viele.« Ein Lächeln verzog Malcoeurs Lippen.
»Wir könnten Eure Hilfe gebrauchen und Ihr die Belohnung der Königin, wenn Ihr uns denjenigen suchen helft, der ihren Tod will.«
»Was für eine Belohnung?«
»Ein Pardon für vergangene Untaten?«
»Ich brauche keinen Pardon, da ich in Freiheit bin.«
Saxon sah Mallorys Zögern. So gut es ihr gelungen war, den Dieb zum Zuhören zu bringen, war sie doch ein Unschuldsengel ohne eine Ahnung von den Ausmaßen der Gier nach Reichtum und Macht.
Als sei er von Anfang an in ihren Plan eingeweiht gewesen, sagte er nun: »Ein künftiger Straferlass wäre unnötig, wenn die großzügige Belohnung der Königin Euch für den Rest Eurer Tage ein sorgloses Leben ermöglichen würde.«
»Mir und meinen Männern.«
»Euch und Euren Männern, das versteht sich.« Die Loyalität Malcoeurs den anderen Dieben gegenüber nötigte Saxon Bewunderung ab. Hätte König Henry der Jüngere an dem seinem Vater geleisteten Eid ebenso standhaft festgehalten, gäbe es keine Rebellion, die das Land spaltete.
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