Die Lady mit dem Schwert: Roman (German Edition)
schluchzte, Tränen flossen über ihre Wangen.
»Warum hast du Christian die Wahrheit gesagt?«, fragte Avisa, die sich nur mühsam beherrschte.
»Ich sagte ihm nichts!« Sie ergriff Avisas Hand. »Ich schwor, dass ich Sir Christian nie die Wahrheit sagen würde. Ich hätte sie ihm nie gesagt.«
»Hat du es einem anderen gesagt?«
Sie nickte.
»Wem denn?«
»Sir Guy Lovell.«
»Und warum ausgerechnet ihm?«
Das Mädchen grub die Zehen in die Vertiefung zwischen den Steinen, hin- und herschwankend wie unter einem heftigen Windstoß. Das lose Haar verbarg ihr Gesicht nicht zur Gänze. Es war vor Angst angespannt. Vor Erinnerung an ausgestandene Angst, wie Avisa klar erkannte. Das Gefühl der Übelkeit in ihr wurde dick wie Sauermilch.
»Ermangardine?«, fragte sie sanfter.
Das Mädchen blickte auf und ließ Tränenspuren sehen.
»Sag mir, was mit Guy Lovell geschah.«
»Er versuchte … das heißt, er trennte mich von den anderen und …« Sie biss sich auf die Unterlippe, als neue Tränen kamen.
»Ich verstehe.« Avisa legte die Arme um das zitternde Mädchen und zog es an sich. Sie wollte nicht, dass Ermangardine ihr Gesicht sah, das vor Zorn verzerrt sein musste.
Avisa hatte Guys Handgreiflichkeiten ein Ende bereitet, indem sie ihn bewusstlos schlug. Ermangardine musste gezwungenermaßen einen anderen Weg suchen, und Avisa konnte es dem Mädchen nicht verargen, dass sie ihm gesagt hatte, was sie wusste, nur um ihn sich vom Leib zu halten.
»Wir müssen morgen bei Sonnenaufgang aufbrechen«, sagte Mavise.
»Ja.« Avisa strich Ermangardines Haar aus dem nassen Gesicht. »Du wirst mir fehlen, doch es ist zu gefährlich für euch zu bleiben.«
»Kommst du nicht mit?«, fragte Ermangardine, von Schluchzen geschüttelt.
»Meine Aufgabe ist noch nicht beendet.«
Das Mädchen schlang die Arme um Avisa. »Das tut mir leid.«
»Ich weiß.« Sie drückte dem Mädchen einen Kuss auf die Stirn. »Kommt zu mir und sagt mir Lebewohl, ehe ihr morgen aufbrecht.«
Mavise nickte und legte den Arm um die jüngere Frau, um mit ihr durch die Halle zu eilen. Avisa rührte sich nicht, bis die beiden in der Menge verschwunden waren. Dann erst schlüpfte sie hinaus. Allein.
Christian erklomm die Treppe. Der obere Gang war menschenleer, da die Haushaltung de Sommevilles sich trunkener Feierlaune hingab, die nicht allein Weihnachten galt, sondern der vermutlich letzten Festlichkeit, ehe der Konflikt zwischen König und Erzbischof England spaltete.
Das ist der Grund, weshalb die Königin mich ausschickte, um dich von Canterbury fernzuhalten. Wenn der Ruf an die Gefolgsleute des Königs ergeht, den Erzbischof davon abzuhalten, das Volk gegen den König aufzuhetzen, wirst du diesem Ruf folgen, wie sie weiß . Das waren Avisas Worte. Die Warnung konnte er ignorieren, nicht aber den Schmerz in ihren Worten. Weil sie es nicht geschafft hatte, den Auftrag der Königin auszuführen?
Es war mehr als dieses Versagen, doch daran wollte er nicht denken. Er wollte Ale in sich hineinschütten, bis er nicht mehr sehen oder denken oder fühlen konnte. Alle seine Bemühungen hatten nichts gefruchtet. Er sah noch immer ihr Gesicht vor sich, als er sie zur Rede stellte, dachte noch immer an ihre Enttäuschung, als er ging, fühlte noch immer die glatte Wärme ihrer Haut unter seinen Fingern.
Er öffnete eine Tür und trat einen Schritt in den Raum hinein, ehe er gewahrte, dass sein körperliches Verlangen ihn verraten hatte. Er hatte den Raum betreten, in dem er mit Avisa an seiner Seite geschlafen hatte, wo er entdeckt hatte, wie stark ihre Leidenschaft war.
Als er die Tür öffnete, um hinauszugehen, hörte er: »Geh nicht.«
»Avisa.«
Sie trat aus dem Dunkel neben dem Bett, und der Schein des Kaminfeuers wob Gold in ihr Haar, das ihr lose auf die Schultern fiel.
Ihr dünnes Leinenhemd gab von ihren Rundungen mehr preis, als dass es sie verhüllte, da er ihre Brüste schattenhaft darunter sehen konnte.
»Bitte, schick mich nicht fort«, bat sie.
»Du solltest nicht hier sein.« Und er hätte sich nicht vor Sehnsucht nach ihr verzehren sollen.
»Ich kann nicht schlafen. Schick mich nicht weg.«
»Du kannst nicht hierbleiben.«
»Ich werde gehen, aber erst musst du zulassen, dass ich dir die Wahrheit sage. Die ganze Wahrheit.«
»Die kenne ich.«
»Nur teilweise.« Avisa hielt ihr Kinn hoch, die Tränen, die ihr in den Augen brannten, flossen über ihr Gesicht. Sie beobachtete seine Miene, in der Hoffnung auf ein Zeichen,
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