Die Lady mit dem Schwert: Roman (German Edition)
und den Faden zu einem Strick verknüpfen.«
Mit Hilfe Mavises brauchte Avisa nicht lange, um ihre Reisekleidung anzuziehen und ihre Waffen anzulegen. Sie erläuterte ihren Plan, und Mavise half ihr, die Einzelheiten auszuarbeiten, um die Erfolgschancen ihrer kühnen Idee zu verbessern. Sie überließ Schwert und Mantel Baldwin, während sie ihren Dolch ans Bein band. Er reichte ihr den Strick, den er in aller Eile zusammengeknüpft hatte. Als sie sah, dass auf den Vorhangstreifen die Stickerei noch zu erkennen war, lächelte sie unwillkürlich. Sie wickelte den Strick mehrmals um ihre Taille und verknüpfte ihn dergestalt, dass die Enden ihre Schuhe streiften.
»Wie sehe ich aus?«, fragte sie.
Der Page grinste. »So wie immer.«
»Gut!« Sie legte ihre Hand auf seine Schulter. »Sobald wir in die Kapelle gehen, verschwindest du in den Stall. Wir treffen uns dort. Sollte ich nach einer Stunde noch nicht dort sein, kommst du wieder hierher zurück.«
Avisa öffnete die Tür und bedeutete ihren Mitschwestern, ihr zu folgen. Als der Gefolgsmann ihres Vaters vortrat, schenkte ihm keine der Frauen Beachtung. Sie gingen von Griswold gefolgt wie von einem bösen Schatten die Treppe hinunter. Er öffnete die Kapellentür, sie traten ein.
Wie erwartet, war die Kapelle gedrängt voll. Priester und Messdiener standen am Altar. Der Wortlaut verriet ihr, dass der Gottesdienst eben erst begonnen hatte.
Sie senkte ihre Stimme und sagte: »Griswold, ich gehe dort hinüber, wo mehr Platz ist.«
»Mylady …«
Sie ignorierte ihn und drängte sich zwischen den anderen Andächtigen durch, die Schulter an Schulter im rückwärtigen Teil der Kapelle standen. Mavise und Ermangardine folgten ihr. Viele stöhnten, als sie dicht an ihnen vorüberging, und sie vermutete, dass sie zu viel dem Ale zugesprochen hatten. Ein Blick zurück zeigte ihr, dass Griswold sie beobachtete, aber nicht versuchte, ihr durch die dicht an dicht gedrängt stehenden Gläubigen zu folgen.
Als die Gemeinde niederkniete, folgte sie dem Beispiel der Leute und wartete ungeduldig, bis alle sich wieder erhoben. Sie musste noch zweimal niederknien und sich wieder aufrichten, ehe sie das Taufbecken erreichte.
» Kyrie eleison, Christi eleison, Kyrie eleison «, intonierte der Priester.
Der Messdiener wiederholte die Worte und sprach ein Gebet.
Avisa lockerte den Knoten des Gürtels um ihre Mitte. Während sie den Strick Stück um Stück langsam hinuntergleiten ließ, war sie froh, dass die Gemeinde abermals niederkniete. Sie schlang ein Ende des Stricks um die Basis des Taufbeckens und drückte die Hände fest an die Seiten, als alle sich erhoben, ehe sie den Strick festmachen konnte.
Da der Gefolgsmann ihres Vaters sie genau im Auge behielt, beugte sie den Kopf tief über die Hände. Ein Ende des Strickes musste sie am Taufbecken sichern und das andere aus dem Fenster hinunterlassen, ehe die Messe vorüber war. Sie hatte nur mehr eine Chance.
Als diese kam, war sie sofort auf den Knien. Sie mühte sich mit aller Kraft, den dicken Strick zu befestigen, ehe jemandem auffiel, was sie hier trieb. Ein Blick zu Griswold zeigte ihr die erfreuliche Tatsache, dass auch er kniete. Sie verknüpfte den Strick und zog so fest daran, dass ihr Ellbogen in den neben ihr Knienden stieß. Mit einer gemurmelten Entschuldigung machte sie sich mit dem anderen Ende des Strickes unter dem Becken zu schaffen. Sie musste das Fenster ertasten, da sie nicht wagte hinzusehen, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Sie fand den Sims und schob den Strick darüber. Immer wieder schob sie ein Stück nach und wartete auf das Straffen, das anzeigen würde, dass das Ende aus dem Fenster gefallen war. Es kam nicht. Was war geschehen?
Als der Priester die Gemeinde aufforderte, sich zu erheben, sah sie, dass der Strick sich auf dem breiten Fensterbrett ringelte. Eine erhöhte Kante hatte verhindert, dass er aus dem Fenster gefallen war. Im Stehen ruckte sie an dem Strick, dann noch einmal. Sie lächelte, als sie das leichte Straffen spürte. Der Strick war über den Rand gefallen. Sie ließ ihn los und ließ die volle Länge fallen, wobei sie darauf achtete, dass sich die Halteknoten nicht lockerten.
Beim abschließenden Segen wusste sie es so einzurichten, dass sie und ihre Schwestern Griswold den Blick auf den Strick verstellten. Sie bewegte sich vorsichtig einen Schritt auf das Fenster zu und blieb erst stehen, als der Priester alle aufforderte, einen Friedenskuss zu tauschen. Die
Weitere Kostenlose Bücher