Die Lady mit dem Schwert: Roman (German Edition)
Gewand, wie immer unter lautem Gejammer.
Guy war es nicht, der sie gerufen hatte. Der Ruf war von einem der Freiwilligen gekommen.
»Hier entlang, Mylady«, sagte der kleine Mann in drängendem Ton.
Schneeflocken wirbelten durch die Luft. Sie zog die Kapuze hoch, als sie mit ihm durch das dichte, mit Ranken durchsetzte Gestrüpp ging. Die Sonne näherte sich bereits dem Horizont und zeigte an, dass der kurze Wintertag sich dem Ende zuneigte. Mit jeder Minute wurde es kälter. Der Wind frischte auf, als hätten die Gesetzlosen sie mit einem Fluch belegt, um sie aus den Wäldern zu vertreiben.
Hätte sie geahnt, dass Christian sähe, wie sie den Mann daran hinderte, sie mit dem Messer zu durchbohren, hätte sie … sie hätte sich nicht anders verhalten. Sie musste am Leben bleiben, um ihren Auftrag zu erfüllen, doch Königin Eleanors Mahnung hatte sie nicht vergessen.
Du sollst ihn von Canterbury fernhalten, zugleich aber darauf achten, dass dich nichts mit St. Jude’s Abbey in Verbindung bringt. Die Abtei würde für mich an Wert verlieren, falls jemand erführe, was meine wahre Absicht bei der Gründung war, und dass ich junge Frauen ausbilden lasse, die mir in schwierigen Zeiten dienen sollen .
Christian würde nicht aufhören, Fragen zu stellen, so dass sie einen Weg finden musste, sie zu beantworten, ohne die Wahrheit über die Abtei preiszugeben. Welche Lüge konnte sie ihm jetzt auftischen?
Vor ihr ertönte ein Stöhnen, und die Mahnung der Königin und Christians Neugierde waren vergessen.
»Baldwin!« Sie kniete neben dem reglosen Jungen nieder. Frisches Blut schimmerte an seiner linken Seite und bildete unter ihm eine Pfütze.
Er öffnete die Augen nur einen Spalt breit. »Mylady …« Er wollte sich aufsetzen.
»Rühr dich nicht.« Sanft legte sie ihm die Hände auf die Schultern und drückte ihn auf den Boden. Dann zog sie ihren Mantel aus und breitete ihn über den Pagen. Der Wind durchschnitt ihr Gewand, doch sie achtete nicht auf die Kälte.
»Sir …« Er zuckte zusammen.
»Christian und Guy sind in Sicherheit – dank dir.«
Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und brachte nur ein Stöhnen heraus.
»Ich muss deine Wunde untersuchen, wenn es auch schmerzen wird, doch ich muss sehen, wo der Verband anzulegen ist.«
Er nickte und schnitt eine Grimasse, als er nach dem blutigsten Fleck seines Gewandes greifen wollte.
Sie wehrte seine Hand ab und sagte zu dem Mann, er solle den Beutel von Baldwins blutdurchtränktem Gürtel nehmen. Als er es tat, fragte sie: »Wie heißt Ihr?«
»Norman, Sohn des Norman, Sohn des Ethelbert, Sohn des …«
»Norman«, unterbrach sie ihn, ehe er seine Ahnenreihe bis zu Adam und Eva aufzählen konnte. »In der Nähe ist ein Bach. Sucht ein Gefäß und bringt drei Hände voll Wasser.«
Er sah auf seine breiten, abgearbeiteten Hände hinunter. »Ich werde mich beeilen.«
»Gut.«
Als Norman davoneilte, legte sie die Hand auf Baldwins Stirn. Sie war nicht fieberheiß, doch mussten Stunden vergehen, ehe man sicher sein konnte, dass die Fiebergefahr gebannt war.
»Wie bist du verwundet worden?«, fragte sie. »Ich sah dich das Pferd wegführen.«
»Ich ließ das Pferd bei …« Er verzog das Gesicht und fuhr tapfer fort: »Ich ließ das Pferd bei Sir Guy und ging zurück, um an Sir Christians Seite zu kämpfen. Weit kam ich nicht.«
»Du hast dein Bestes getan.« Sie behielt ihr Lächeln bei, wenn sie auch innerlich bei der Vorstellung kochte, dass Guy sich mit dem Pferd versteckt hatte, während der Junge sich in den Kampf stürzte.
»Pyt?«, fragte der Junge.
»Er wurde gefangen genommen.«
Die Andeutung eines Lächelns glitt über Baldwins Lippen. »Sobald Ihr Sir Christian befreit habt, würde er es diesen Schurken büßen lassen, das wusste ich.«
»Es war ein schöner Anblick.« Sie sah keinen Grund, dem Jungen die Wahrheit zu sagen. »Soll ich erzählen?«
»Ja!«, hauchte er, als Schmerz sein Gesicht verzerrte.
Als sie sich über seine Seite beugte, lenkte Avisa ihn mit einer ausgeschmückten Version des Kampfes ab, da ihr rasch klar wurde, dass sie ihn mit einer spannenden Geschichte wach halten musste. Er verlor so viel Blut, dass er womöglich nie wieder zu sich kommen würde, wenn er das Bewusstsein verlor.
Christian drängte sich durch das Gebüsch, als Avisa eben die Wunde genäht hatte und mit Streifen, die sie aus Normans Hemd gerissen hatte, verband. Sie blickte auf und sah, wie Verzweiflung und Wut sich in seiner Miene
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