Die Lady mit dem Schwert: Roman (German Edition)
Christian Lovell?«, fragte der Baron. »Sohn des Robert Lovell?«
»Ja«, gab Christian zurück. »Ich bitte um Obdach für meine Reisegefährten und um ärztliche Hilfe für meinen Pagen.«
»Wir weisen niemanden ab.« Die Antwort kam unwillig.
»Das freut mich zu hören«, sagte die Stimme, die in Christians Phantasien so atemlos klang.
Er drehte sich um und sah Avisa in der Tür stehen. Ihr Gewand war mit Blutflecken übersät. Sie trat ein und sagte: »Mylord, ich bin Avisa de Vere.«
»Ihr?« Der Baron starrte sie mit großen Augen an. »Seid Ihr verletzt, Mylady?«
»Das ist nicht mein Blut. Wir wurden auf der Straße durch den Wald überfallen.«
»Bring eine Bank, damit Mylady sich setzen kann«, befahl de Sommeville.
»Mir fehlt nichts, aber Sir Christians Page wurde verwundet und braucht Pflege.«
»Aber gewiss. Seid alle willkommen.« Er warf Christian einen Blick zu, sagte aber nichts mehr. Das war auch nicht nötig. Seine Miene sprach Bände. Je eher die Lovells wieder verschwanden, desto besser.
17
Avisa rieb sich die Stirn mit Fingern, deren Zittern sie nicht zu beherrschen vermochte. Der Schmerz hatte eingesetzt, als sie den Mann mit dem Messer zu Boden geworfen hatte, und war mit jeder Stunde stärker geworden. Von der linken Seite des Nackens ausgehend, strahlte er bis in die Schulter aus. Sogar der Klang ihrer eigenen Stimme dröhnte schmerzhaft in ihrem Kopf, als sie Baldwin zuflüsterte, er solle ruhen.
Sie blies die Lampe in dem Gemach aus, in dem Baldwin schlief, und ging in den Raum daneben. Ein drittes Gemach lag hinter dem mittleren Raum. Darin stand ein Bett, das luxuriöser war als jenes, in dem der Junge schlief. Guy hatte es für sich in Beschlag genommen.
Im Mittelzimmer standen ein Tisch und zwei Truhen. Christian war nicht wiedergekommen; sie saß auf der Bank, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, die Stirn auf die Handflächen. Sie musste jetzt nachdenken, denn wenn Christian in der Nähe war, wurden ihre Gedanken immer wieder von ihm abgelenkt. Es galt, das Problem zu lösen, mit dem sie sich auf Lord de Sommevilles Burg überraschend konfrontiert sah.
Aus ihrem angeblich überfallenen Vaterhaus war niemand gekommen und hatte um Hilfe gebeten. Lag hier ein Missverständnis vor? Sie glaubte sich zu erinnern, die Äbtissin hätte ihr geraten, nicht vor Ablauf von vierzehn Tage nach der Begegnung mit Christian auf Lord de Sommevilles Sitz einzutreffen. Der Termin war nun um Tage überschritten, die Weihnachtswoche war bereits angebrochen. Sie war da, doch kein Mensch aus dem Kloster war zur Stelle. Sie musste sich etwas ausdenken, um Christian daran zu hindern, seine Reise nach Canterbury fortzusetzen.
Als hätte sie ihn herbeigerufen, trat Christian mit einem Tablett ein, auf dem eine verstaubte Flasche und einige Pokale standen. Er platzierte das Tablett auf dem Tisch und massierte sein geschwollenes Handgelenk.
»Schmerzt es noch?«, fragte sie und faltete die Hände im Schoß, um ihr Zittern zu verbergen.
»Es geht. Wie steht es um Baldwin?«
»Er ruht. Die Wunde ist tief, er hat viel Blutverloren.«
»Und mein Bruder?«
Ihr Lächeln ging in ein strenges Stirnrunzeln über. »Er bekam den gleichen Schlaftrunk, da er über Schmerzen klagte. Seine letzte Wunde sieht aus, als hätte ihn ein Dorn geritzt.«
»Eine schwere Beschuldigung.«
»Wenn du meinst, ich irre mich, darfst du dir gern seine sogenannte Verletzung ansehen.«
»Vermutlich hast du Recht, Avisa. Du scheinst in allem Recht zu behalten.« Er seufzte. »Verzeih. Es war die schlimmste Woche meines Lebens.«
»Für mich war sie auch kein Genuss.«
»Ganz und gar nicht?«
Sie biss sich auf die Unterlippe, um ihm nicht die Antwort zu geben, die er erwartete. Sie hatte seine Umarmungen und seine Küsse, die so veränderlich waren wie seine Stimmungen, genossen. Er steckte voller Widersprüche, war zornig und doch sanft. In ständiger Sorge um Baldwin, erwartete er dennoch, dass der Junge jede gestellte Aufgabe erfüllte. Von der Schmach geprägt, die der Familienehre zugefügt worden war, nahm er Beleidigungen durch jene hin, die seine Verbündeten hätten sein sollen.
Als sie keine Antwort gab, ging er an die Tür zu Baldwins Gemach. »Wird er überleben?«
»Wenn keine schädlichen Körpersäfte in seine Wunde geraten. Ich will den Verband bald wechseln, dann wird man sehen, wie es um ihn steht. In seinem Alter heilt alles rasch.« Sie stand auf und ging mit ausgestreckter Hand zu ihm. Als
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