Die Lady mit der Feder - Roman
sie die Wahrheit aussprach?
Naserümpfend drehte Lady Odette sich um. Ihr Rock
schwang hinter ihr aus und zeigte die Wut, die sich nach Isabellas Vermutung in ihrer Miene abzeichnen musste. Sie blieb stehen, als der Stallbursche mit dem Schimmelhengst um die Ecke kam.
»Ich kann dieses Untier nicht reiten!«, stieß die Dame hervor.
»Es ist für Lady Isabella bestimmt.« Der Junge setzte mit einem Blick zu Isabella hinzu: »Der Rappe ist für Euch, Mylady.«
Isabella biss sich auf die Zunge, um nicht enttäuscht aufzustöhnen, als Lady Odette sich überschwänglich bedankte. Ihr hätte klar sein müssen, dass die Dame nicht bereit - oder imstande - sein würde, ein lebhafteres Tier zu reiten. Während sie sich fragte, um wie viele Tage sich die Reise bei so langsamem Tempo verlängern würde, streichelte sie den Hengst und überprüfte den Sitz des Sattels, um sich zu überzeugen, dass er für sie passte.
»Lasst Euch helfen, Mylady«, sagte Jordan hinter ihr.
Isabella sah, wie er Lady Odette in den Sattel des schwarzen Wallachs half. Die Dame kicherte und schnatterte wie ihr zahmes Eichhörnchen. Nachdem Lord Weirton aufgesessen war und sich im Sattel zurechtgerückt hatte, reichte seine Schwester ihm den Käfig, den er an einem Brett hinter seinem Sattel befestigte.
Jordan kam zu Isabella und fragte: »Braucht Ihr Hilfe?« Um seine Lippen zuckte es. »Ich kenne Eure Antwort ohnehin, da ich weiß, dass Ihr lieber alles selbst macht.«
»Meine Antwort lautet nein, da Ihr die Stiche in Eurer Wunde nicht über Gebühr strapazieren sollt, indem Ihr mich in den Sattel hebt.«
»Ich bewies bereits, dass meine Stiche es aushalten, wenn ich Euch hebe.«
Ihre Wangen brannten, als seine Antwort die Glut ihrer fieberhaften Küsse wiedererweckte. Ließ ihn ungerührt, was geschehen war, oder verbarg er abermals die Wahrheit? Eines jedenfalls wusste sie genau. Sie wäre eine Närrin, ihm zu erlauben, seine breiten Hände um ihre Taille zu legen und sie in den Sattel zu heben. Die vergangene Nacht hatte den Beweis gebracht, dass sie sich nicht beherrschen konnte, wenn er sie berührte.
»Danke, ich schaffe es«, sagte sie.
»Wie Ihr wünscht.« Er ging zu seinem Grauen und schwang sich behände auf dessen Rücken.
Isabella schnallte ihren Sack am Sattel fest, ehe sie aufsaß und den Hengst beruhigte, der nervös unter ihr tänzelte. Vor ihr hörte sie inmitten des halben Dutzends Bedienter, die mit ihnen ritten, Lady Odette und ihren Bruder, die Jordan ausfragten, welche Erneuerungen er an der Burg vornehmen wollte. Die Bemerkungen der Dame ließen erkennen, dass sie ihre Zukunft auf La Tour sah.
Sie vergewisserte sich kurz, ob ihr Kräutersack sicher hinter ihr befestigt war, dann trieb sie ihr Pferd an und ritt hinter den anderen durch das Tor des unteren Burghofes.
Sie war die Einzige, die zum Abschied einen Blick zurück warf.
Isabella saß auf einem Stein und wickelte das Proviantpaket aus, das Emery ihr gegeben hatte, als sie eine Rast einlegten, kurz nachdem die Sonne ihren Zenit erreicht hatte. Der Knappe war wortlos wieder zu den anderen gegangen, um sie
zu bedienen. Bei Lord Weirton blieb er länger, als wäre er der Knappe des Barons und nicht jener Jordans. Zu jedem Wort Lord Weirtons nickte Emery beflissen.
Sie entnahm ihrem Proviantpaket trockenes Brot und würzig riechenden Käse. Hoffentlich bereute Emery nicht seinen Entschluss, in Jordans Dienst zu treten. Es war verständlich, dass der Junge einem Ritter dienen wollte, der nicht zögern würde, in den Kampf zu ziehen und Emery Gelegenheit zu bieten, seinen eigenen Kampfesmut zu erproben.
Lady Odette, die möglichst nahe bei Jordan saß, plapperte unaufhörlich, wie sehr sie sich freue, diese Reise mit Lord le Courtenay und ihrem Bruder unternehmen zu können. Isabella entging nicht, wie die Dame Jordan mit zarten Fingern immer wieder berührte.
Isabella nahm ihren Proviant und stand auf. Die Bedienten, vier Männer und eine Frau, sahen zu ihr hin, aber weder Jordan noch die Weirtons schienen es zu bemerken. Sie schlenderte zwischen den Bäumen zu einem Bach, um sich dort auf einer kleinen Erhebung niederzulassen. Das Plätschern des Wassers über die Steine übertönte die Stimmen hinter ihr. Es übertönte auch Schritte, wie sie verspätet feststellte.
»Ihr sollt Euch nicht so weit von den anderen entfernen«, sagte Jordan, als er sich neben sie hockte. »Wenn ich böse Absichten hätte …«
»Wenn?«
»Wir haben nichts Böses
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