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Die Lady mit der Lanze

Die Lady mit der Lanze

Titel: Die Lady mit der Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyn Kelley
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nun stärker, obwohl der Regen immer noch in feinen Tropfen fiel. Die Tropfen kitzelten auf der Haut, und sie erinnerte sich daran, dass ihr Vater sie in einem ähnlichen Regen hochgehalten und herumgedreht hatte. Dabei hatte er gelacht. Ihr hatte es gefallen, wenn er lachte, weil sich dabei Runzeln auf seinen Wangen zeigten und seine Augen zu tiefen Schlitzen wurden. Sein Lachen war wie freundlicher Donner.
    Sie verhielt den Schritt. Zahllose Erinnerungen an ihre Familie drangen auf sie ein. Im Kloster hatte sie nur selten an ihre Eltern gedacht. In ihrem dortigen Leben befangen, hatte sie die Mauern benutzt, um ihren Kummer im Zaum zu halten. Ihr Schmerz über den Verlust beider Eltern binnen weniger Stunden hatte dazu geführt, dass sie die Erinnerungen an freudige Momente tief in sich verschlossen hatte. Sie wollte jene Erinnerungen nicht auch noch verlieren.
    Elspeth machte noch einen Schritt, und plötzlich verlor ihr Fuß den Halt. Geistesgegenwärtig stieß sie ihren Stock in den Boden, um nicht zu stürzen. Während sie noch um ihr Gleichgewicht kämpfte, erblickte sie voller Verwunderung vor sich aufgetürmte große Steine. Reste niedriger Mauern umgaben ein ebenes Geviert. Hatte hier einst eine Festung gestanden? Die gewölbte Erhebung auf dem Hügelrücken zur Linken war trotz der primitiven, steinernen Rampen, die zu erkennen waren, schwer zu erklimmen, doch konnte sie sich gut vorstellen, wie in alten Zeiten Krieger von ganz oben das umliegende Gebiet nach Feinden abgesucht hatten. Hatten die Bewohner der Festung gegen Legionäre gekämpft oder gegen Feinde, die Wales bedroht hatten, ehe das Römerreich das Hügelland als Grenzmark beanspruchte?
    Ein aufleuchtendes Licht fesselte ihren Blick. Auf den Stock gestützt blickte sie hügelan. Wer trieb sich dort oben herum? Ein Bauer vermutlich, der eine verlorene Kuh oder ein Schaf suchte. Jetzt war das Flackern fast direkt über ihr.
    Der Wind ließ die Regentropfen sprühen, als würde ein Mantel ausgeschüttelt. Plötzlich tauchte jemand rechts von ihr auf, in der Hand eine Laterne, deren Licht die Regenwand teilte und die nassen Steine glänzen ließ. Geblendet hob sie abwehrbereit ihren Stock.
    »Elspeth, lass das!«
    Tarran! Sie wollte ihn fragen, was er hier auf dem Abhang zu suchen hätte, als er ihr ebendiese Frage stellte. Vorsichtig überwand er eine Felsplatte.
    »Ich sagte, dass ich Holz sammeln wollte«, erwiderte sie.
    »Hier gibt es keines. Auf blankem Fels wachsen keine Bäume.«
    Gereizt stellte sie fest, dass seine Stimme ganz ruhig klang, während sie noch ganz atemlos vom Aufstieg war. Sie saß auf der Steinmauer und balancierte den Stock auf den Knien.
    »Tarran, willst du, dass wir uns ständig anfauchen? Wenn du weiterhin diesen Ton anschlägst, wird es der Fall sein. Mir ist klar, dass es hier keine Bäume gibt. Ich wollte eben kehrtmachen und hielt nur an, weil ich oben auf der Hügelkuppe ein Licht sah.«
    Er hob seine Laterne und suchte das Gelände über ihnen ab. »Wo war das Licht?«
    »Ganz oben.« Ein fernes Blöken und der Ruf eines Mannes verrieten, dass ihre Vermutung zutraf. Ein Tier wurde gesucht.
    »Was verloren war, wurde gefunden«, sagte Tarran, als hätte sie ihre Gedanken laut ausgesprochen. »Du hast Glück, dass du nicht verloren gingst, während sie Regen strömen lässt.«
    »Was? Wer tut was mit dem Regen?«
    Er sah sie mit dem kühlen Lächeln an, das sie nicht mochte. »So sprechen wir vom Regen. ›Sie lässt Regen fließen.‹ Die Wendung stammt noch aus der Zeit, als die Menschen glaubten, Regen sei eine Gabe der Göttinnen, die über Himmel und Erde gebieten.«
    »Göttinnen?« Ihr Lächeln war so eisig wie seines … und wie der Regentropfen, der über ihren Rücken floss. Sie ließ sich ihr Unbehagen nicht anmerken. »Nie hätte ich gedacht, Waliser ließen sich von einer Frau beherrschen.«
    »Von keiner Frau. Von einer Göttin.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Hier gibt es zu viele alte Geschichten.«
    »Stimmt. Jeder Baum und jeder Stein hat eine zu erzählen.«
    » Jeder Stein?«, fragte sie, ehe sie sich zurückhalten konnte.
    »Wieso bist du so neugierig auf Steine?« Er kam näher. »Auf welchen Humbug hast du dich eingelassen, Elspeth?«
    Sie wollte ihm eine Antwort geben. Doch wollte ihr keine einfallen, als sie in seine Augen schaute, die glänzten wie zwei vom Regen blank gewaschene Steine. Hart, doch mit verborgener Wärme, die von der Nacht verschattet wurde. Seine Finger strichen über

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