Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
würde, wenn seine eigene Frau oder sein Kind, das schon bald auf die Welt kommen sollte, bei der Geburt sterben würden. Die Tränen, die ihm bei diesem Gedanken in die Augen stiegen, galten sowohl ihm selbst als auch Charles Harris.
»Katherine wird es nicht ertragen«, flüsterte Harris.
»Natürlich ist es ein schrecklicher Verlust, doch die Zeit …«
»Nein, Sie verstehen mich nicht. Katherine hat so etwas befürchtet. Ich musste ihr versprechen, dass ich sie einsperren lasse, wenn ihr Kind sterben sollte. Sie meinte, sie würde den Verstand verlieren und sich umbringen. Ich versprach ihr, dass alles gut gehen, dass unserem Kind nichts passieren würde …« Er konnte vor Verzweiflung nicht weitersprechen.
»Es ist nicht Ihre Schuld. Sie haben getan, was Sie konnten.«
»Ich habe gar nichts getan.«
»Ihre Frau wird Abschied nehmen wollen. Wir sollten ihr ihren Sohn bringen, bevor …«
»Nein! Haben Sie denn nicht gesehen, in was für einem Zustand sie sich befindet? Ich habe sie noch nie so gesehen. Ich kann ihr kein … lebloses Kind …«
»Es wird schmerzlich sein, ja, aber letztlich wird es ihr helfen, ihren Kummer zu überwinden.«
»Nein.« Er sprach jetzt weniger heftig und schüttelte grübelnd den Kopf. Sein Blick ging ins Leere. Plötzlich schreckte er hoch, blickte um sich. Sein Gesicht wirkte wie das eines Rasenden.
»Wo ist Charlotte?«
Augenblicklich wurde Dr. Taylor von einer panischen Angst ergriffen, das Gefühl einer tödlichen Bedrohung legte sich auf seine Brust. Er wusste, was sich da abzeichnete, ja er hätte es eigentlich schon vor einer Stunde wissen müssen. »Mr Harris, was auch immer Sie jetzt denken, ich bitte Sie, nehmen Sie Abstand davon.«
»Was denke ich denn?«
»Ich verbiete Ihnen, Miss Lamb deswegen anzusprechen. Sie haben großen Kummer, ich weiß, aber …«
»Sie können mich nicht davon abhalten, mit Charlotte zu reden.«
»Doch, das kann ich. Ich bin ihr Arzt und sie braucht noch Ruhe.«
»Sie wird mich sehen wollen.«
»Glauben Sie wirklich? Auch wenn Sie herausfindet, was Sie von ihr wollen? Ich kann nicht glauben, was Sie vorhaben … ich kann mir kein grausameres Angebot vorstellen.«
»Grausam? Was ist grausam daran, meinem Sohn – meinem anderen Sohn – ein angemessenes Leben zu bieten? Sie haben es selbst gesagt, wenn ich nichts unternehme, wird er gar nichts haben – keine Privilegien, keine Möglichkeiten, nicht einmal seine Grundversorgung wird gesichert sein.«
»Ich habe nie gesagt …«
»Wie viele andere vaterlose Kinder könnten auf etwas hoffen, das ich, das wir , dem Jungen bieten können?«
»Aber Ihre Frau …«
»Braucht es nie zu erfahren!«
»Sie bieten das nur an, weil Ihr eigener Sohn tot ist. Wenn er am Leben geblieben wäre …«
»Dann würden wir beide dieses Gespräch nicht führen, das wissen Sie. Aber er lebt nicht mehr, oder? Und hier stehe ich, nur wenige Schritte von meinem eigenen Fleisch und Blut, von meinem lebendigen, atmenden Sohn entfernt. Für mich ist das Vorsehung.«
»Ich würde es eher als herzlos und egoistisch bezeichnen.«
»Es spielt keine Rolle, als was Sie es bezeichnen. Es zählt nur, was Charlotte sagt, oder?«
Daniel schüttelte den Kopf, die Arme vor der Brust verschränkt. In seinem Kopf hämmerte es.
»Bitte! Ich flehe Sie an! Lassen Sie mich Charlotte doch bitte wenigstens sehen!«
Daniel starrte den Mann an, doch statt seiner sah er eine jüngere Charlotte mit strahlendem Lächeln, die in das Gesicht ebendieses Mannes aufblickte. Würde sie ihn wirklich sehen wollen? Auch angesichts dieses erbärmlichen Angebots? Daniel wünschte sich nichts sehnlicher, als sie zu beschützen, doch wer war er, eine so weitreichende Entscheidung zu treffen? Immerhin bestand er darauf, Charlottes Zimmer als Erster zu betreten und zunächst allein mit ihr zu reden. Er wollte sie auf das Kommende vorbereiten, irgendwie – als ob das möglich gewesen wäre.
Energisch bedeutete er Harris, einige Schritte zurückzubleiben und zu warten. Erst dann klopfte er vorsichtig an Charlottes Tür.
»Ja?«, antwortete sie nach kurzem Zögern.
Er warf Harris noch einen warnenden Blick zu, dann öffnete er die Tür behutsam einen kleinen Spalt. »Charlotte? Ich bin es, Daniel Taylor. Darf ich einen Augenblick hereinkommen?«
»Natürlich.«
Er trat ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Die Lampe hielt er auf Hüfthöhe in der Hand, um ihr ein wenig Privatsphäre zu ermöglichen, sollte sie sie
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