Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
brauchen.
»Guten Abend«, sagte er, um Normalität bemüht. »Bitte verzeihen Sie die späte Störung.«
»Ich war noch wach. Ich habe ihn beobachtet.«
Er sah, dass auf ihrem Nachttischchen eine Kerze brannte, und stellte seine kleine Petroleumlampe auf die Truhe neben der Tür, wo sie riesige Schatten an die Zimmerwände warf.
Sie setzte sich im Bett auf und sah ihn an. »Ist alles in Ordnung?«
Er stand da und rang vor Ratlosigkeit die Hände. Als es ihm bewusst wurde, steckte er sie in die Taschen. In dem Bettchen, das neben Charlottes Bett stand, wachte das Kind auf und jammerte ein bisschen vor sich hin. Charlotte beugte sich hinüber und nahm es auf. Sie ließ sich wieder gegen die Kopfstütze zurücksinken und wiegte das Kleine sanft in den Armen.
»Aber, aber. Du kannst doch nicht schon wieder hungrig sein, mein Kleiner.«
Als das Kind wieder einschlief, lächelte Charlotte Daniel an. Ihre Augen leuchteten vor Mutterglück und Freude über ihre für sie selbst ganz unerwartet kommende Begabung zur Mutterschaft. Ihr Gesicht, das im Kerzenlicht golden schimmerte, strahlte vor Zufriedenheit. Welch ein liebliches Bild sie und das Kind in diesem Augenblick boten! Daniel erwiderte ihr Lächeln. Dann spürte er plötzlich wieder den Druck hinter den Augen und eine Enge in der Kehle. Er fürchtete, dies würde das letzte Mal sein, dass er sie so glücklich sah.
»Haben Sie schon entschieden, wie er heißen soll?«, fragte er und schob das Unausweichliche noch etwas hinaus.
»Ja, ich glaube. Es war schwieriger, als ich dachte.« Sie legte das Kind neben sich und sicherte es mit einem Kissen.
»Warum?« In dem Augenblick, in dem er die Frage aussprach, wusste er, dass sie dumm war, und hätte sie gern zurückgenommen.
»Nun, normalerweise hätte ich ihn nach seinem … Vater genannt. Zumindest ist das doch so üblich. Doch an meiner Situation gibt es wenig Übliches.« Sie strich die Decke über dem Kind glatt. »Vielleicht sollte ich ihn nach meinem eigenen Vater nennen, doch angesichts der Umstände …«
»Ja, ich verstehe, was Sie meinen.«
Er räusperte sich.
Sie wandte sich zu ihm. »Stimmt etwas nicht?«, fragte sie freundlich.
»Ja, ich fürchte, es gibt etwas. Etwas, das Sie … vielleicht … beunruhigen könnte.«
»Was ist es denn?«
»Es ist jemand da, der Sie sehen möchte.«
»Jetzt? Wer denn?«
»Es ist, ähm …«
»Mein Vater?«, fragte sie, Überraschung und, es war nicht zu überhören, einen Funken Hoffnung in der Stimme. Es tat ihm bitter weh, sie enttäuschen zu müssen.
»Nein, leider nicht. Nicht Ihr Vater.«
Sie starrte ihn an, ohne sich zu rühren. Er holte tief Luft und sagte:
»Es ist Charles Harris.«
»Mr Harris?«
»Ja, sehen Sie, sein eigenes Kind … das heißt, das Kind seiner Frau Katherine kam heute Nacht zur Welt.«
Er sah, wie Charlottes Gesicht sich bei diesen Worten verhärtete, und einen Augenblick lang war er erleichtert. Er hoffte, sie würde den Mann in seine Schranken weisen.
»Es hat nur kurz gelebt«, fuhr Daniel fort. »Ich habe es mit Wiederbelebung versucht, aber es gelang mir nicht, den Kleinen am Leben zu halten.«
»Arme Katherine.«
»Ja, aber auch Mr Harris ist verzweifelt.«
»Tatsächlich?«
Die Tür quietschte leise. Beide wandten sich um.
»Charlotte?« Harris' Stimme klang fragend und entschlossen zugleich.
»Es tut mir leid, Taylor, ich konnte einfach nicht mehr warten.« Er trat ins Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich. »Charlotte, ich musste dich sehen.«
Er ging zum Bett, den Hut in der Hand. »Was hat Taylor dir erzählt?«
Charlotte sah zu ihm auf. »Dass dein … dass Katherines neugeborenes Kind heute Nacht gestorben ist.«
»Oh, Charlotte, ich bin wirklich völlig am Ende.« Charles sank neben dem Bett auf die Knie und griff nach ihrem Arm. Sein Hut fiel zu Boden, ohne dass er es merkte. Er sah sie an. In seinen Augen standen Tränen.
»Es war ein kleiner Sohn – hat er es dir gesagt?«
Charlotte nickte stumm.
»Ich hielt ihn in den Armen, als er starb …« Ein Schluchzen brach aus ihm heraus und Daniel wandte den Blick von der schmerzlichen Szene ab. Doch Harris war offenbar wieder zu Bewusstsein gekommen, warum er hier war.
»Taylor. Geben Sie uns bitte einen Augenblick.«
Daniel wünschte sich nichts sehnlicher, als den Raum verlassen zu können. Er trug den Schmerz dieses Mann mit und bald sicherlich auch den der Frau. Doch er befürchtete, dass der gewandte Weltmann Druck auf Charlotte
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