Die Lady von Milkweed Manor (German Edition)
Ich hasse es, bei schlechtem Wetter zu reisen. Die Straßen sind dann ein Morast und alles ist so unbequem. Ich bin so froh, dass endlich Frühling ist und ich wieder Besuche machen kann.«
Einen Augenblick später kam Tibbets in Begleitung einer großen, pferdegesichtigen Frau zurück, die ein pummeliges Baby in einem Satinkleidchen auf dem Arm trug. Die Amme knickste, brachte das Kind zu seiner Mutter und legte es in ihre ausgestreckten Arme.
Mit einem strahlenden Lächeln drehte Katherine das Baby um, damit sie es betrachten konnten.
»Das ist unser Edmund. Ist er nicht das Ebenbild von Mr Harris?«
Bea starrte das Kind an. Einen flüchtigen Augenblick lang meinte sie, in seinen Zügen, in der Stupsnase und den feinen Brauen über den großen braunen Augen, Charlotte zu erkennen. Fühlte sie sich ihr gegenüber wirklich so schuldig? Oder vermisste sie sie so sehr? Der kleine Junge lächelte ein zahnloses Lächeln in ihre Richtung, das sie nicht erwiderte.
»Er sieht aus wie Charlotte«, sagte ihr Vater verdattert. Auch er wandte kein Auge von dem Jungen. Er hatte den Namen ausgesprochen, obwohl er geschworen hatte, das nie mehr zu tun.
»Du meinst Charles, Vater«, beeilte sich Bea, ihn zu korrigieren.
»Oh ja, ja natürlich. Charles. Die Namen sind so ähnlich. Ich wollte meinen Sohn immer Charles nennen, wenn ich einen gehabt hätte.«
Katherine schaute mit hochgezogenen Brauen von einem zur anderen.
Bea bemerkte aus den Augenwinkeln, dass die plumpe Amme, die wartend hinter ihrer Herrin stand, sie quer durch das Zimmer anstarrte. Warum hatte Katherine dieses schäbige Geschöpf überhaupt mitgeschleppt ?
»Da wir gerade von Charlotte sprechen …«, hob Katherine an.
»Das haben wir doch gar nicht«, sagte Bea. »Im Übrigen ziehen wir andere Themen vor.«
»Ja, erzähl uns lieber von Fawnwell«, fuhr ihr Vater fort. »Ist alles wieder so, wie es war? Vor dem Brand, meine ich.«
Katherine schwieg. Ihre Augen wanderten aufmerksam zwischen den beiden hin und her. Sie öffnete den Mund, schloss ihn jedoch wieder und änderte ihren Kurs.
»Beatrice, Charles und ich möchten diesen Sommer eine Gesellschaft geben, um den Wiederaufbau von Fawnwell zu feiern und natürlich, um Edmund einzuführen. Wir werden viele unserer Londoner Freunde einladen, darunter eine Menge geeigneter … Personen, die du sicher gerne kennenlernen möchtest. Was meinst du, wird dir das nicht gefallen?«
Beatrice zuckte die Schultern. »Wahrscheinlich.« Warum starrt diese Amme mich immer noch an?
»Und du, Onkel, wirst doch sicher ebenfalls nichts gegen ein wenig neue Gesellschaft einzuwenden haben? Und gegen die Möglichkeit, mit ein paar Gleichgesinnten über theologische Fragen zu diskutieren?«
Bea war die gönnerhafte Wortwahl nicht entgangen, im Gegensatz zu ihrem Vater. Er lächelte geschmeichelt.
»Dagegen hätte ich absolut nichts. Es klingt im Gegenteil wunderbar. Wann wird es denn stattfinden?«
»Sobald ihr mir gesagt habt, was ich wissen will.«
20
Ammen sind nun einmal ein notwendiges Übel.
Ohne sie würde es den Kindern der besseren Gesellschaft …
ganz entschieden schlechter gehen.
T. C. Haden, On The Management and Diseases Of Children , 1827
Es kam völlig überraschend.
Charlotte ging gerade mit Anne auf dem Arm in Mrs Dunweedys kleinem Wohnzimmer auf und ab, weil sie hoffte, das Kind in den Schlaf singen zu können, als sie draußen auf der Straße das vertraute Geräusch einer Kutsche hörte. Dem Hufgeklapper nach zu urteilen, wurde sie von mindestens vier Pferden gezogen. Da das Cottage dicht an der High Street stand, war sie zunächst nicht überrascht, ja sie nahm das Geräusch kaum wahr. Erst als das Getrappel sich verlangsamte und der Kutscher »brrrrr« rief, trat sie ans Fenster. Sie hielt Anne auf dem linken Arm und zog mit der rechten Hand die Vorhänge zurück. Ihr Herz begann zu klopfen, schneller und schneller, je langsamer das Hufgeklapper draußen wurde. Dann verstummte das Geräusch ganz. Eine elegante Kutsche. Groß und geschlossen, ideal für längere Reisen, auf denen man bei aller Geschwindigkeit nicht auf Komfort verzichten wollte. Lady Katherines Kutsche.
Oh Gott, hilf mir … das geflüsterte Gebet kam ganz automatisch. Was hätte sie tun können? Sie konnte nicht fliehen. Wie hatte ihre Cousine herausgefunden, wo sie lebte? Hatte Tante Tilney es ihr gesagt? Nein, das hätte sie nie getan, schon allein, weil es ihr ein Graus gewesen wäre, wenn irgendein Verwandter oder
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