Die Lagune Der Flamingos
schrill auf. Fräulein Lewandowsky rügte die junge Frau nur sehr nachgiebig.
Nach einem kurzen Aufenthalt im Gemeinschaftsraum, der auf das Abendessen folgte, hieß es auch schon, zu Bett zu gehen. Kurz vor ihrem Zimmer nahm Fräulein Brand, die beim Abendessen nicht zugegen gewesen war, Estella kurz beiseite.
»Du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn dich etwas bedrückt«, sagte sie.
»Es ist alles in Ordnung.« Estella musste sich anstrengen, um das Zittern aus ihrer Stimme herauszuhalten.
Als sie das gemeinsame Zimmer betrat, schien es Philomena kaum zu wagen, sie anzusehen. Estella versuchte, nicht darauf zu achten. Schweigend machte sie sich bettfertig und kroch unter ihre Decke, doch sie fand keine Ruhe. Almas lachendes Gesicht wollte ihr nicht aus dem Kopf gehen. Als Fräulein Lewandowsky noch einmal das Zimmer kontrollierte, fand sie nichts auszusetzen, doch Estella wusste, dass sie sich darauf nicht würde ausruhen können.
Vielleicht hätte Estella ihre Verfolgerinnen eher bemerkt, wenn sie nicht so in Gedanken gewesen wäre. Fräulein Lewandowsky hatte sie während der ganzen Handarbeitsstunde auf dem Kieker gehabt. Mehr als einmal hatte sie Estella vorgeführt, bis diese innerlich nur doch darum gebetet hatte, nicht mehr aufgerufen zu werden. Und irgendwann hatte Fräulein Lewandowsky tatsächlich das Interesse an ihrem Opfer verloren. Womöglich war das Spiel uninteressant geworden, als Estella keine Widerworte mehr gegeben hatte. Obgleich diese nun wusste, wie sie mit Fräulein Lewandowskys Sticheleien umzugehen hatte, fühlte sie sich doch schlecht.
Und dann hatte sie natürlich Marlena gesehen. Zwar war Marlena spät zum Unterricht erschienen, aber es war trotzdem Zeit geblieben, um sich zu grüßen. Schließlich wollte unausgesprochen keiner von ihnen beiden, dass Isolde, Alma oder gar Fräulein Lewandowsky erfuhren, was wirklich zwischen ihnen vorgefallen war.
»Na, Schwarze! Hast du es dir jetzt auch noch mit deiner besten Freundin verdorben?«, sagte jetzt eine wohlbekannte Stimme hinter ihr.
Isolde.
Estella drehte sich um, das hochmütigste Lächeln auf den Lippen, dessen sie fähig war.
»Und was ginge dich das an, Fettkloß?«
Sie konnte förmlich sehen, wie der Ausdruck von Genugtuung aus Isoldes Gesicht rutschte, obwohl sie Alma zur Rückendeckung mitgebracht hatte. Kaum einen Atemzug später ließ Isolde ein wütendes Knurren hören.
»Dreckiges Mischblut.«
Schon im nächsten Moment stieß Isolde die zierlichere Estella so heftig gegen die Brust, dass die gegen die Hauswand prallte. Für einen Moment blieb Estella die Luft weg. Gleich darauf schlugen Isoldes Fäuste in einem wilden Trommelwirbel auf sie ein. Isolde keuchte, als sie endlich von Estella abließ. Die spürte etwas Feuchtes, das aus ihrer Nase auf ihren weißen Schulkittel tropfte.
Noch einmal rückte Isolde so nahe, dass Estella den feuchten Schweiß auf ihrem Gesicht roch. »Wag dich, irgendjemandem etwas hiervon zu erzählen«, zischte sie.
Dann stolzierte sie mit Alma davon.
Siebzehntes Kapitel
Maisie war es gewesen, als erwache sie aus einem tiefen Schlaf, als sie plötzlich auf den schlanken, gut aussehenden Burschen aufmerksam wurde. Eine Zeit lang hatte es ihr gefallen, die süße Ehefrau an der Seite eines Geschäftsmannes zu spielen, aber das war nun vorbei. Sie warf einen kurzen Blick über ihre Schultern, um festzustellen, ob der junge Mann sie immer noch vom Fenster des Arbeitszimmers aus beobachtete. Ihr war bewusst, was sie mit nur einer dieser Bewegungen auslösen konnte. Ihre Freundinnen hatten es ihr mehrfach bestätigt. Manche sagten, natürlich nicht laut, sie habe diese Fähigkeiten wohl von ihrer Ahnin, der Kurtisane, ererbt.
Maisie stand auf und ließ den Hausmantel ein Stück von ihren Schultern gleiten, griff dann in ihren Nacken und machte sich daran, einen Knoten aus ihren Haaren zu winden. Dann drehte sie sich unvermittelt um – der junge Mann hatte keine Gelegenheit mehr, sich abzuwenden. Sein Blick richtete sich, ohne dass er wirklich etwas dagegen tun konnte, auf ihre halb entblößte Brust. Maisie schenkte ihm ein Lächeln. Kurze Zeit später fasste er Mut und kam aus Lorenz’ Arbeitszimmer zu ihr hinaus in den Patio.
»Wie heißt du?«, fragte Maisie in völlig unbefangenem Tonfall, als seien sie schon lange miteinander bekannt.
»Diego, ich … äh … ich arbeite für Ihren Mann.«
»Ich weiß«, sagte sie nur. »Wie alt bist du?«
»Äh … zwanzig.«
Sie wusste,
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