Die Lagune Der Flamingos
blieb Santa Celia mit den letzten schrecklichen Ereignissen und Jonas Vasquez’ Tod verbunden. Über die Vorgänge auf der Estancia blieben Viktoria und Pedro dabei stets informiert, von Zeit zu Zeit schickte ihnen der neue Verwalter Berichte, alles andere interessierte sie nicht. Natürlich war es Pedro zuerst schwergefallen, die Estancia aufzugeben, aber letztendlich war er seiner Geliebten entschlossen gefolgt.
»Ich kann es verantworten, wenn ich sterbe«, hatte Viktoria einmal zu ihm gesagt, »aber ich ertrage es nicht, wenn andere für mich sterben.«
In Tucumán waren sie weit fort von all dem. Sie hatten nur einige Bedienstete mitgenommen und ein neues Leben begonnen. Hier gab es niemanden, der sich über sie das Maul zerreißen konnte, jedenfalls nicht über ihre Liebe, nicht über das, was nur Pedro und sie etwas anging. Ab und zu beschwerte sich Don Laurentio mehr oder weniger lautstark wegen der angeblich zu guten Behandlung der Arbeiter auf Tres Lomas, aber er war nachsichtiger geworden, seit sich das Geschäft mit dem Zucker zu seinen Gunsten entwickelte. Außerdem war er der festen Ansicht, dass auch die Santos irgendwann erkennen würden, wo ihre Interessen lagen.
Seit wir hier sind, hatte ich eigentlich nie Zeit, viel über das nachzudenken, was die anderen von mir denken, fuhr es Viktoria durch den Kopf, es gab stets zu viel zu tun.
Während Pedro sich um die Arbeit auf den Feldern und die Arbeiter sorgte, kümmerte sich Viktoria um die Büroarbeit und den Verkauf. Ein guter Teil ihres Ertrags aus dem Zuckerrohranbau ging nun jedes Jahr nach Buenos Aires, an die Meyer-Weinbrenners nach Belgrano. Julius hatte Viktoria in Aussicht gestellt, dass sie in den Handel mit Europa würde einsteigen können. Zucker war gefragt.
Humberto, Viktorias Ehemann, bezog immer noch einen monatlichen Geldbetrag von Viktoria und lebte weiterhin in dem Stadthaus in Salta oder auf Santa Celia. Seit es ihm und seiner Familie gelungen war, sie und Pedro zu vertreiben, hielt er sich zurück. Hätte es nicht die monatliche Unterstützung gegeben, hätte Viktoria ihn fast vergessen können.
Für einen flüchtigen Moment strich Viktoria sich mit beiden Händen über die schlanke Taille. Sie hatte es sich sehr gewünscht, aber nach Paco war sie nicht noch einmal schwanger geworden. Vielleicht ist es besser so, überlegte sie, vielleicht ist es besser, nicht noch ein Kind in dieses doch so schwierige Leben zu setzen.
Estella und Paco forderten sie zudem genügend. Estella war zu einer bezaubernd schönen Frau herangewachsen. Paco hatte die Gerechtigkeit als sein Thema entdeckt und eiferte seinem Vater nach. Er ging immer noch dem Rechtsanwalt in Buenos Aires zur Hand und war inzwischen fest entschlossen, einmal Rechtswissenschaften zu studieren – wenngleich er ab und zu daran zweifelte, ob dieses Studium nicht zu lange dauerte, um der Sache der Gerechtigkeit Genüge zu tun.
Von Zeit zu Zeit erreichten Tres Lomas feurige Briefe. Am Morgen hatte Viktoria wieder einmal einen solchen entgegengenommen. Paco berichtete in knappen Worten von Buenos Aires und der Arbeit in der Kanzlei und etwas ausführlicher von Aktivitäten, die Viktoria beunruhigten. Wenn Paco sich nur keine Feinde machte! Es wäre ihr lieber gewesen, ihren Sohn einmal wieder von Angesicht zu Angesicht zu sehen, doch seit er damals nach La Dulce und dann weiter nach Buenos Aires aufgebrochen war, hatte er Tres Lomas nicht mehr besucht. Noch nie zuvor waren sie so lange getrennt gewesen.
Im letzten Jahr war außerdem Viktorias Vater gestorben. Viktoria hatte es sehr geschmerzt, ihn nie mehr wiedergesehen zu haben. Nicht einmal an seiner Beerdigung hatte sie teilnehmen können. Ihre Mutter schrieb jetzt regelmäßiger. Aus ihren Zeilen sprach der ausdrückliche Wunsch, die Tochter und die Enkel einmal zu besuchen. Vielleicht würde es ja wenigstens mit ihrer Mutter ein Wiedersehen geben. Die Reise mit dem Schiff wurde immer unbeschwerlicher.
Viktoria trat näher ans Verandageländer und zupfte die vertrockneten Blüten von einer gelben Rose, die dort stand. Ihr Blick fiel auf die schlanke Gestalt ihrer Tochter. Estella war an diesem Tag früh aufgestanden und ohne zu essen spazieren gegangen. Gerade war sie zurückgekehrt. Sie saß in einem Schaukelstuhl auf der Veranda und schien ihren Gedanken nachzuhängen.
Mein kleiner Edelstein, dachte Viktoria, mein Sternenkind. Auch wenn ihr und Estellas Vater kein glückliches Leben beschieden gewesen war und sie
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