Die Lagune Der Flamingos
weich, dass sie kaum vorankam. Pferd und Reiter näherten sich viel rascher, als sie laufen konnte.
Du musst dich retten … Rette dich … Lauf …
Die Angst schnürte Blanca die Kehle zu. Schon hörte sie das Schnauben des Pferdes, spürte den riesigen Schädel neben sich. Im nächsten Augenblick packte eine feste Hand ihren Arm und riss sie hoch. Blanca wollte sich wehren, aber sie hatte keine Kraft mehr. Der fremde Reiter zerrte sie vor sich auf das Pferd, sodass sie, das Gesicht nach unten, quer vor dem Sattel zu liegen kam, dann schlug er dem Tier die Hacken in die Flanken. Es machte einen Satz und sprengte los. Blanca sah den Staub der Straße, dann Steppengras, Steine, niedriges Gestrüpp.
Erst eine halbe Ewigkeit später, so schien ihr, wurden sie langsamer. Das Pferd kam zum Stehen. Ihr Entführer glitt aus dem Sattel, zog sie herunter und drehte sie endlich mit dem Gesicht zu sich hin.
Blanca riss Augen und Mund auf. »Señor Jensen!«
»Pst, Blanca!«
Jens Jensen legte den Finger auf die Lippen und hieß sie, sich zu setzen. Im Schutz des Buschwerks kauerten sie sich nieder und versuchten beide, zu Atem zu kommen.
Blanca war es, als wäre sie aus einem langen Schlaf erwacht. Als sie die Augen aufschlug, lag sie auf dem Boden, den Kopf in Jens Jensens Schoß gebettet. Sie erinnerte sich, dass sie an ihre Mutter gedacht hatte, dass sie plötzlich Wut darüber verspürt hatte, dass Corazon sich nicht hatte retten wollen. Dann hatte sie wieder die schrecklichen Bilder vor Augen gehabt, die erhobene Machete, mit der der Indianer ihre Mutter getötet hatte, und sie hatte weinen müssen. Sie hatte geweint und geweint, bis sie vollkommen erschöpft gewesen war. Dann hatte sie Jens Jensen gefragt, ob er sie in den Arm nehmen würde. Er war ihrer Bitte nachgekommen.
An seine Brust gelehnt hatte sie weitergeweint, so lange, bis sie keine Tränen mehr gehabt hatte und ihr Körper nur noch von trockenen Schluchzern geschüttelt wurde. Señor Jensen hatte ihr sanft über den Kopf gestreichelt.
Das Erste, was sie nun sah, war sein von der Sonne rot verbranntes Gesicht und seine besorgten blauen Augen.
»Geht es Ihnen gut, Blanca?«
Sie richtete sich auf. Am Stand der Sonne stellte sie fest, dass nur kurze Zeit vergangen war.
»Meine Mutter ist tot«, murmelte sie.
»Oh … Das tut mir leid, Blanca.«
Blanca versteifte unwillkürlich die Schultern. Jens Jensen rückte etwas von ihr ab, und sogleich bedauerte sie es, seine Wärme nicht mehr zu spüren.
Aber mein Leben ändert sich jetzt, sagte eine Stimme in ihr, ich bin auf mich gestellt, nur noch auf mich …
»Was werden Sie tun, wenn das hier vorbei ist?«, fragte Jens Jensen einen kurzen Moment später.
Sie fragte nicht danach, warum er wusste, dass auch dies hier vorbeigehen würde. Es war ein Stück Zuversicht, das ihr half, das Schreckliche nicht mehr zu nah an sich heranzulassen.
Blanca zuckte die Achseln. »Ich werde nach Buenos Aires zurückkehren, das wollte ich immer schon tun.«
Jens Jensen nickte langsam. »Ja, Buenos Aires erscheint einem jetzt besser als diese gottverdammte Gegend«, bemerkte er mit einem Grinsen, das sie wohl aufmuntern sollte.
Blanca stand auf und spähte durch das Buschwerk in die Richtung, in der sie das Dorf vermutete. Rauchschwaden waren dort zu sehen. Es war relativ still. Sie hätte gedacht, dass es dumm war, den Schutz der Häuser zu verlassen, aber Señor Jensen kannte sich offenbar gut aus und hatte das Versteck mit Bedacht gewählt. Ihr selbst war dieser Ort jedenfalls bisher nicht aufgefallen. Ein wirklich gutes Versteck also. Sie drehte sich wieder zu Jens Jensen um.
»Und Sie? Was werden Sie tun?«
»Ich werde wohl eines Tages mit der Armee weiter vorrücken. Man hat mich gefragt … Ich habe einiges über Geologie und Pflanzen gelernt, seit ich hier bin. Man sagte mir, man braucht Leute wie mich.«
Blanca schüttelte den Kopf. »Aber ich dachte, Sie stünden auf der Seite der Indios. Sie kamen mir nie vor wie ein Mann der Armee.«
Jensen zuckte die Achseln.
»Haben Sie schon gekämpft?«, fragte Blanca.
»Nein«, sagte er langsam, dann überlegte er. Endlich lächelte er. »Ein einziges Mal, und das ist schrecklich schiefgegangen.«
Es lag ihr auf der Zunge, danach zu fragen, was geschehen war, doch dann entschied sie, dass sie einander dafür doch nicht gut genug kannten. Es war ungehörig, ihn solch persönliche Dinge zu fragen. Blanca sah kurz zu Boden, bevor sie wieder sprach.
»Vielleicht
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