Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
du. Er nahm Carlo als den Ersatz, der ihm rechtmäßig gebührte.«
Lauras Gedanken überschlugen sich. Die schreckliche blutige Szene, die sich vor zwei Jahren abgespielt hatte, drängte sich vor ihre Augen; sie erinnerte sich mit betäubender Klarheit daran, wie die bewaffneten Palastwächter auf den großen Sklaven losgestürmt waren und wie dieser versucht hatte, sich mit einem erbeuteten Schwert zu wehren. Und wie Cattaneo ihn getreten hatte, als er tot auf dem Pflaster lag.
Sie erschauderte. »Er hat Carlo gefangen genommen.«
»Anfangs hat er ihn eingesperrt, ja. Aber jetzt ist es anders. Carlo könnte weglaufen, wenn er wollte. Aber er ist geblieben. Die meiste Zeit hat er es gut bei Giacomo. Doch ich weiß nicht, wie es sein wird, wenn ich weg bin. Giacomo wird dann vielleicht ... anders sein. Ich habe Angst.«
»Wovor? Davor, dass dein Liebhaber Carlo etwas antut?«
»Nein. Ja. Ich weiß nicht.«
»Was willst du denn von mir? Was soll ich tun?« Laura bog in die nächste Gasse ein, und endlich war der in düsteren Farben bemalte Palazzo außer Sichtweite.
»Ich weiß, dass dir an Carlo liegt. Ihr wart immer Freunde. Er war gut zu dir und deinem kleinen Bruder.«
Laura musterte sie befremdet. »Warum sagst du dann nicht, was ich tun kann, um ihm zu helfen? Warum willst du überhaupt weg von Cattaneo?« Sarkasmus schwang in ihrer Stimme mit. »Du bist doch so glücklich bei ihm.«
»Es ist nur vorübergehend«, versicherte Valeria. »Ich bin krank und muss mich für eine Weile erholen. Dann gehe ich zurück, und alles ist wieder im Gleichgewicht.«
Laura erwiderte nichts. Ihr war ohnehin schon schlecht von dem, was sie gehört hatte. Sie wollte nichts mit Valeria zu tun haben, nichts mehr wissen von dem sündigen Verhältnis, das sie an ihren Liebhaber schmiedete. Eine Aura des Schreckens und der Niedertracht lag über dem Haus und schien auch auf Valeria übergegriffen zu haben, ohne dass es sie sonderlich zu stören schien. Vermutlich war es ihr Wesen, sich diesen Verhältnissen zu unterwerfen und anzupassen. Vielleicht war auch Carlo längst befallen, vielleicht hatte der Hauch des Bösen auch ihn berührt, und er wollte nichts weiter, als alles so zu erhalten, wie es war, genau wie Valeria.
»Er hat ein Messer an meinen Hals gesetzt«, sagte Laura unvermittelt. »Und er hat Antonio in den Kerker werfen lassen.«
»Na und? Antonio hat mir davon erzählt, aber es war ganz einfach ein dummer Zufall. Giacomo hat euch für Diebe gehalten, nichts weiter. Es war klar, dass euch irgendwann so etwas passieren musste. Außerdem ist Antonio wieder freigekommen.«
»Wie denn?«, wollte Laura wissen. Monna Crestina hatte sich damals bei den Behörden nach Antonios Verbleib erkundigt, doch da hatte es geheißen, er sei bereits auf freiem Fuß.
»Man holte ihn zur Vernehmung raus. Er hatte fürchterliche Angst, dass man ihm die Hand abhackt, der Wärter hat wohl so was verlauten lassen. Vor den Avogadori hat er sich dann auf die Taufbücher seiner Contrada bezogen. Das Gericht ließ jemanden hinschicken, um es zu überprüfen. Damit konnte er beweisen, dass er noch keine vierzehn war. Außerdem gab es eine Zeugenaussage, durch die der Verdacht des Diebstahls widerlegt wurde. Folglich mussten sie ihn gehen lassen, nachdem man die zwei Monate, die er bereits abgesessen hatte, als Strafe für ausreichend hielt. Wer weiß, ob man ihm tatsächlich die Hand abgehackt hätte, im Normalfall passiert das sowieso nur, wenn man öfter beim Stehlen erwischt wird.« Valeria schwieg, nachdem sie geendet hatte. Sie hatte die Augen niedergeschlagen; ihr Gesicht unter der hohen Stirn wirkte konzentriert und zugleich undurchdringlich.
Im Turm der hinter ihr befindlichen Kirche begann die Glocke zu läuten, und darin einfallend ertönte von nah und fern weiteres Geläut, bis das klingende Konzert über dem ganzen Sestiere schwebte.
»Ich muss jetzt los«, sagte Laura entschlossen. »Aber ich werde mit Monna Crestina reden, vielleicht kann sie sich für Carlos Freilassung verwenden.«
»Nein, tu das nicht! Er ist rechtmäßig Giacomos Sklave. Ich möchte nicht ... Er soll dort bleiben, bis ich wiederkomme. Wenn ich erst wieder da bin, ist alles in Ordnung.«
Laura verstand überhaupt nichts mehr, und sie wollte auch nicht länger mit Valeria sprechen. Sie drehte sich um und marschierte los, bis sie den kleinen Kirchplatz erreicht hatte, den sie auf dem Hinweg schon überquert hatte. Von hier aus war es nicht mehr weit
Weitere Kostenlose Bücher