Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
und Kleider tragen konnte und ihr Haar wieder bis zur Schulter gewachsen war, musste sie hinnehmen, dass sie wohl niemals wirklich zu einer Frau erblühen würde. Sie war zwölf Jahre alt, aber ihr Körper schien sich trotz ungezählter Mahlzeiten zu weigern, Rundungen auszubilden.
»Hat er dich besucht?«, fragte sie niedergeschlagen.
»Nein, ich war mit der Gondel unterwegs, und da sah ich ihn auf einem anderen Boot. Wir trafen uns auf der Fondamenta und redeten eine Weile.«
»Was hat er gesagt?«, wollte Laura wissen. Sie stellte die Frage hastig, weil sie merkte, dass Valeria auf ein anderes Gesprächsthema umschwenken wollte.
»Was soll er gesagt haben?«, fragte Valeria in gelangweiltem Ton zurück.
»Na, was er so macht.«
»Er ist sozusagen ins Schaugeschäft eingestiegen.«
»Was bedeutet das?«
Valeria grinste. »Er organisiert Katzenspiele.«
»Das ist verboten.«
»Aber es kräht kein Hahn danach, weil alle auf die Viecher wetten wollen. Oder auf die Burschen, die sich von den Krallen das Gesicht zerfetzen lassen. Er hat ja auch diese eine Narbe von früher, sie stammt von einem Katzenkampf. Sie gibt ihm etwas, wie soll ich sagen ... Na, lassen wir das.« Valeria dachte kurz nach. »Ach ja, und es nicht das Einzige, was er macht. Zwischendurch spielt er an einer Bühne, bei einem komischen alten Kauz, dem ein Theater gehört. Er hat ihn im Gefängnis kennengelernt, und ein paar Wochen nachdem er draußen war, hat er ihn wiedergetroffen. Der Alte hat in einem alten Lagerhaus am Rialto einen Vorführraum eingerichtet und führt dort seine Stücke auf. Antonio meint, Verse aufzusagen sei nicht das Schlechteste, um an Geld zu kommen. Damit ist er wenigstens zur Hälfte ehrbar geworden. Das Stehlen hat er aufgegeben, jedenfalls hat er das erzählt. Hin und wieder, so sagt er, versucht er sich sogar als Kaufmann.« Ihre Nasenflügel blähten sich. »Er sieht übrigens unglaublich gut aus, obwohl er noch keine fünfzehn ist. Groß und breit wie ein richtiger Mann. Er rasiert sich sogar! Und sein Lächeln – es ist richtig gefährlich, weißt du.« Betont setzte sie hinzu: »Für eine Frau gefährlich.«
Diese Bemerkung versetzte Laura einen Stich. Sie presste die Lippen zusammen und sagte kein Wort, denn sie merkte, dass sie drauf und dran war, die Beherrschung zu verlieren. Sie würde sich keinesfalls die Blöße geben, Valeria anzugiften, denn das wäre genau das, worauf diese aus war. Valeria hatte immer schon alles Mögliche unternommen, um andere zu reizen. Sie war erst zufrieden, wenn sie alle um sich herum aus der Reserve gelockt hatte.
»Du hast ihn lange nicht gesehen, oder?«, fragte Valeria.
Laura hielt eigensinnig den Kopf zur Seite gewandt. Valeria wusste genau, dass sie ihn ein ganzes Jahr nicht gesehen hatte. Und vermutlich war sie ebenso darüber im Bilde, dass Laura die ganze Zeit nicht aufgehört hatte, an ihn zu denken. Sie hatte so oft versucht, ihn zu vergessen, doch irgendwann hatte sie begriffen, dass er sie wohl doch stärker beeindruckt hatte, als sie wahrhaben wollte.
»Wo gehen wir hin?« Laura war es leid, mit Valeria herumzulaufen. Sie wollte nach Hause. Nach Hause ... Sie spürte diesem Gedanken nach und fragte sich, wann sie angefangen hatte, an die Apotheke als ihr Zuhause und an Crestina und Mansuetta als ihre Familie zu denken. Es konnte nach ihrer Ankunft nicht lange gedauert haben, bis sie sich geborgen gefühlt hatte, das könnte sie beschwören, denn die Umgebung war ihr sehr bald tröstlich und anheimelnd erschienen. Es war nicht das Haus ihrer Eltern, sie hatte kein Zimmer mit einem Löwen an der Wand und einer himmelblau bemalten Decke. Doch es gab ein sauberes Bett in der Kammer, die sie mit Crestina teilte. Die alte Frau hatte es eigens für sie aufstellen lassen, nachdem sie Laura während der Zeit der Krankheit ihr eigenes Bett überlassen und selbst vorübergehend mit der Hälfte von Mansuettas Bett vorliebgenommen hatte. Und sie bekam jeden Tag so viel zu essen, wie sie herunterbringen konnte.
Sie hatten Laura von Anfang an behandelt wie ein Familienmitglied. Nun ja, Mansuetta vielleicht nicht so ganz, sie war anfangs ziemlich wortkarg gewesen, und wenn sie überhaupt eine längere Ansprache an Laura gerichtet hatte, waren es meist Zurechtweisungen gewesen. Dafür hatte Mansuetta sich auf Matteo gestürzt, als wäre er ihr eigenes Kind. Als Laura nach Wochen fiebriger und auszehrender Krankheit wieder halbwegs bei Sinnen gewesen war, hockte
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