Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
Schritt zurück und gestand damit seine Unterlegenheit ein. Antonio schob den Dolch zurück in die Scheide und gesellte sich wieder zu Raffaele.
»Du hast es ihm gezeigt, wie?«, fragte Raffaele belustigt.
Antonio zuckte die Achseln; im Grunde waren Vorfälle dieser Art mittlerweile eher belanglos. Er wunderte sich nur noch selten darüber, mit welch müheloser Leichtigkeit es ihm seit einiger Zeit gelang, andere einzuschüchtern. Ob es nun Gleichaltrige waren oder Männer, die das Doppelte an Jahren zählten wie er selbst, schien dabei keine Rolle zu spielen. Zuerst hatte er gedacht, es läge an der neuen Waffe, doch es hatte sich rasch herausgestellt, dass es nichts oder nur wenig damit zu tun. Oft musste er nicht einmal die Hand an den Messergurt legen, um seine Kampfbereitschaft zu demonstrieren. Seine Körpergröße tat ein Übriges. Im vergangenen Jahr war er so viel gewachsen wie nie zuvor. Ob es nun an dem besseren Essen lag, das er seither verzehrt hatte, oder an den inneren Säften, die seinen Körper in die Höhe schießen ließen – er begegnete nur noch selten einem Mann, der größer war als er selbst. Die meisten Männer überragte er mindestens um eine Handbreit, viele sogar um Haupteslänge. Wenn er ein Haus betrat, musste er regelmäßig wegen der niedrigen Türstöcke den Kopf einziehen. Er war immer noch schlank und drahtig, aber die jugendliche Schmächtigkeit hatte er bereits vollständig verloren. Seine Schultern waren breit, sein Kreuz kräftig, und an seinen Oberarmen und Schenkeln hatten sich Muskeln entwickelt, die ihm zu einer ungeahnten Stärke verhalfen. Niemand verpasste ihm mehr im Vorbeigehen eine Kopfnuss, einfach so, weil er im Weg war. Diese Zeiten waren vorbei. So schnell legte sich keiner mehr mit ihm an, und es war ein gutes Gefühl, das zu wissen.
»Weißt du, es liegt an dem Schauspielunterricht, den ich dir habe zuteilwerden lassen!«, schrie Raffaele gegen den Lärm der Zuschauer an, während der Katzenkämpfer erneut versuchte, die Katze mit einem Stoß seines Kopfes zu treffen und ihr auf diese Weise den Garaus zu machen. »Die Bühne hat dich im Laufe von nur einem Jahr zu einer echten, unverwechselbaren Persönlichkeit reifen lassen und dir eine natürliche Autorität verliehen, welche nur der in der Schauspielkunst geschulte Darsteller besitzt.«
Raffaele neigte stets zu solchen Übertreibungen, und Antonio lachte über derlei Äußerungen. Aber möglicherweise steckte auch ein Körnchen Wahrheit darin, denn die Menschen hatten begonnen, Respekt vor ihm zu entwickeln. Händler, die er ansprach, hörten ihm höflich zu und beantworteten all seine Fragen, und mit noch größerer Bereitschaft stimmten sie zu, Handel mit ihm zu treiben. Viel war es bisher nicht gewesen, nur ein paar Gelegenheitsgeschäfte. Etwa jenes betreffend den Ballen Seide, den er – zusammen mit dem Dolch – von dem Mamelucken hatte kaufen können und tags darauf an einen durchreisenden Tuchhändler weiterveräußert hatte. Von dem Gewinn hatte er zwei Vasen aus Muranoglas gekauft, weil er wusste, dass die durchreisenden reichen Pilger ganz wild darauf waren. Eine war ihm bei einer Rangelei heruntergefallen und zerbrochen, was seinen Gewinn aus dem nachfolgenden Geschäft geschmälert hatte, aber es war genug übrig geblieben, um aus der gerade gelöschten Ladung eines Frachters aus Syrien eine kleine Partie Duftöl zu erstehen, welches ihm bei der Weiterveräußerung an einen Händler aus Antwerpen nicht nur einen kleinen Gewinn, sondern im Austausch gegen die Ware auch einen Ballen feinstes Saffianleder eintrug. Von dem Geld war genug übrig, um der Witwe eines Tuchhändlers, die von ihrem Gatten eine Sammlung von Marmorstatuetten geerbt hatte, eine Büste des griechischen Philosophen Sokrates abzukaufen, genau von jener Sorte, nach der sich reiche Leute alle Finger leckten. Auf dem Ding saß er leider immer noch, weil niemand es ihm hatte abkaufen wollen. Offenbar war die Büste weder antik noch hellenisch. Ein Händler, der etwas davon verstand, hatte ihm grinsend anvertraut, dass das Kunstwerk vermutlich der Hand eines einschlägig bekannten Steinmetzen aus Torcello entstammte. Der wiederum arbeitete mit einer geschäftstüchtigen Dame zusammen, die sich als Witwe eines kunstsinnigen Händlers auszugeben pflegte, aber in aller Regel nicht mehr auffindbar war, wenn man sie nach Abschluss eines Geschäfts noch einmal sprechen wollte. Der Händler hatte Antonio empfohlen, die Büste für
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