Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
einem Komödianten, sagte ich das schon?«
»Ungefähr hundert Mal.«
»Man kann es nicht oft genug wiederholen. Die Zeit ist reif für neue Komödien. Keiner mag sich mehr mit den altertümlichen Stücken des Plautus und des Terenz langweilen. Die Menschen wollen den Humor ihrer eigenen Zeit erleben. Die Anbetung der Antike muss einmal ein Ende nehmen.«
Antonio seufzte und gab der Kurbel einen Tritt. Das Ding klemmte schon wieder. Er würde einen zusätzlichen Fanfarenbläser anheuern, um das Geräusch zu übertönen, und ein zweiter Kulissenhelfer konnte auch nicht schaden. Einer, der drehte, und ein weiterer, der an dem Steinbrocken zog, während die Plattform nach oben glitt. Einer alleine wäre niemals stark genug, außer vielleicht er selbst – doch er musste als Achill auf der Bühne stehen. Er hatte wochenlang für die Rolle gelernt und dachte nicht daran, wegen eines dämlichen Flaschenzugs auf seinen Premierenauftritt zu verzichten.
Der in ein räudiges Lammfell gehüllte Darsteller des listenreichen Odysseus tauchte hinter einem Bretterstapel auf. Er gähnte mit weit aufgerissenem Mund und kratzte sich die Hoden, während er näher kam, eingehüllt in eine Wolke aus Schafsgestank und Schnapsdunst. Wie viele seiner Berufskollegen neigte auch er dazu, sein Lampenfieber mit Alkohol zu bekämpfen, obwohl er, wie Antonio ihm zugestehen musste, seine Rolle schon nach kurzem Studium perfekt beherrschte und ohne einen einzigen Patzer Dutzende von Versen deklamieren konnte, egal wie betrunken er war. Es klang vielleicht hin und wieder leicht verwaschen, aber nie vergaß er seinen Text.
Der Mann hieß Ippolito. Er war knapp dreißig Jahre alt und hatte einen quadratischen, von krausem Blondhaar bedeckten Schädel. Mit seinem zerknautschten, grimmigen Gesicht unter der niedrigen Stirn und dem muskulösen Körper eignete er sich weniger für die Rolle des kühnen Odysseus als für diejenige des wilden Weingottes Dionysos, den er ebenfalls schon verkörpert hatte. Doch er war – abgesehen von Antonio und Raffaele selbst – der einzige Schauspieler des Ensembles, der sich einen umfangreichen Text merken konnte, und da Raffaele wegen seines Alters für den Menelaos prädestiniert war und Antonio schon wegen seiner Statur für niemand anderen als den Achill infrage kam, hatte Ippolito folgerichtig die Rolle des Odysseus übernehmen müssen. Bis vor ein paar Jahren hatte Ippolito als Söldner gearbeitet, so wie früher sein Brotgeber Raffaele, bis ein Zustand eingetreten war, der ihr Auskommen gefährdete: Frieden. Außer wenigen, örtlich begrenzten Scharmützeln hatte Venedig sich in den letzten Jahren mit keinem gefährlichen Feind befehdet. Danach hatte Ippolito sich als Faustkämpfer bei Schaustellereien verdingt und war auf diesem Wege bei Raffaele hängen geblieben.
»Du darfst ihm nichts mehr glauben«, sagte Ippolito zu Antonio.
»Was meinst du?«, fragte Antonio geistesabwesend. Er schätzte die Entfernung des Steinbrockens zur Bühne und wog die mutmaßliche Schwere gegen den nötigen Kraftaufwand ab, der nötig wäre, es von Hand herabzuziehen. Vielleicht würde er zwei Männer aus dem Chor überreden können, hinter den Kulissen nicht nur zu singen, sondern auch die Plattform in Bewegung zu setzen.
»Er lügt, wenn er nur den Mund aufmacht«, sagte Ippolito.
»Schweig, du versoffener Wicht«, wies Raffaele ihn zurecht.
»Die Geschichte vom Condottiere ist genauso erstunken und erlogen wie die von der holden blonden Maid, die er von einem sinkenden Schiff rettete, bevor sie ein Jahr später von den Muselmanen geraubt und versklavt wurde.«
»Diese Geschichte habe ich ihm noch gar nicht erzählt!«, rief Raffaele empört aus. »Und außerdem ist sie wahr!«
»So wahr wie die Geschichte mit dem Amulett«, höhnte Ippolito.
Antonio fuhr zu ihm herum. »Welches Amulett?«, wollte er misstrauisch wissen.
Ippolito zeigte auf den verschrumpelten Hals des Intendanten. »Na, das mit dem geheiligten Blut unseren Erlösers, welches sonst?«
Raffaele gab einen heiseren Schrei der Entrüstung von sich. »Du wagst es, meine Worte anzuzweifeln, du verlauster Häretiker!«
Ippolito kratzte sich grinsend unter der rechten Achsel, dann schabte er erneut mit den Fingernägeln über seine Hoden. »Was die Läuse angeht, so hast du leider recht.«
»Was ist mit der Reliquie?«, fragte Antonio. Er ließ die Kurbel los und trat einen Schritt auf den Alten zu. In seinem Inneren ballte sich eine unheilvolle
Weitere Kostenlose Bücher