Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
der Stiege nach unten.
»Habt Dank und auf bald!«, rief Crestina ihr hinterher.
Die Nachbarin verschwand unter missfälligem Gemurmel und ohne Abschiedsgruß.
Laura, die der Unterhaltung mit zwiespältigen Gefühlen gefolgt war, atmete erleichtert auf. Gemessen an allen anderen Menschen, die schon auf Matteo aufgepasst hatten, war die Nachbarin sicher nicht die Schlechteste. Sie war immer nüchtern, hatte keine Läuse, verstand sich auf die Kinderpflege und teilte keine Schläge aus, jedenfalls hatte Laura davon bisher nichts bemerkt. Doch die Vorstellung, dass Matteo stundenlang brüllend in seinem Bettchen hockte, während die Frau unten in der Küche am Kamin döste, hätte ihr den gesamten Spaß verdorben.
Laura unterdrückte die Gewissensbisse, die sie überkommen wollten, weil Mansuetta nun auf die Theatervorstellung verzichten musste, doch gleichzeitig gestand sie sich ein, dass sie froh darüber war, mit Crestina allein hingehen zu können. Das Unbehagen, das Mansuetta mit ihren Vorwürfen in Laura wachgerufen hatte, saß tief, und es würde bestimmt nicht besser werden, wenn Laura den ganzen Abend neben ihr sitzen musste.
Das Theater war in einer alten Lagerhalle hinter dem Fondaco dei Tedeschi untergebracht und bestand aus wenig mehr als einer behelfsmäßig zusammengezimmerten Bühne. Bei genauerem Hinsehen war zu erkennen, dass das Gerüst auf einem Fundament aus Fässern und Balken ruhte, was der ganzen Konstruktion eine gewisse Ähnlichkeit mit der für venezianische Häuser üblichen Pfahlgründung verlieh. Rings um die Aufbauten waren Tücher gespannt, die einen Teil der Bühne zum Zuschauerraum hin abschirmten. Nicht wenige der Zuschauer waren im Hinblick auf die bevorstehenden Karnevalstage maskiert und bunt verkleidet und würden nach der Darbietung auf den Straßen und Plätzen der Stadt umherziehen, um sich den nächtlichen Zerstreuungen dieser Jahreszeit hinzugeben. Die Herbergen und Schenken der Stadt quollen über vor Reisenden, die sich nur zu bereitwillig in die Vergnügungen stürzten, die Venedig zu bieten hatte. Der venezianische Karneval galt in ganz Europa als besondere Attraktion, wurde er doch in seiner ausschweifenden Unbekümmertheit, die schon lange vor den eigentlichen Festtagen einsetzte, nirgends sonst übertroffen. Ein launiger Schwank in einem Theater, als Auftakt zu weiterem, wilderem Zeitvertreib, kam sowohl den Zugereisten als auch den Ansässigen gerade recht.
Die Fackeln, die entlang der Außenwände und im Halbkreis vor der Bühne aufgereiht waren, erhellten die Szenerie mit flackerndem Licht und ließen so manches maskierte Antlitz dämonisch aufleuchten. Gelächter und Geschwätz brachten die Halle zum Summen.
Laura zuckte zusammen, als schmetternde Fanfarenklänge die Luft zerrissen. Zwei Trompeter waren vorgetreten und erzeugten ohrenbetäubende Töne auf ihren Instrumenten, die auch die Aufmerksamkeit des letzten Zuschauers auf die Bühne lenkten. Dort erschien ein Mann, der ebenfalls verkleidet war, als Vogel, mit einer Schnabelmaske und üppigem, gefärbtem Gefieder an Armen und Beinen.
»Hochverehrtes Publikum«, rief er mit hallender Stimme, die vom gedämpften Klang einer Trommel untermalt wurde. »Seid gegrüßt und willkommen im weltberühmten Theater des ehrenwerten Messèr Raffaele Correggio, das seinesgleichen in allen bekannten und unbekannten Kontinenten nicht findet!« Der Ansager ließ den spärlichen Applaus verklingen, bevor er sich elegant verneigte und mit seiner Ansprache fortfuhr. »Seht nun das neue Stück unseres verehrten und begabten Meisters Correggio, welches sich um Liebe, Verrat und göttliche Fügung dreht! Des Weiteren um Unterschiede in Stand, Glaube und Gesinnung, welche schon immer geeignet waren, Zwietracht unter den Menschen zu säen und sie ihrer schicksalsgemäßen Bestimmung zu entfremden!« Er erging sich in weiteren blumigen Wendungen über die Raffinesse des Stücks und die Genialität des Autors, der die Geschichte zur Erbauung der ganzen Welt ersonnen hatte, bis unter den Zuschauern die ersten Unmutsrufe ertönten und lautstark verlangt wurde, endlich anzufangen.
Der Ansager kündigte daraufhin eilig den Beginn des ersten Aktes an, und begleitet von dem leicht trunken klingenden Gesang eines hinter der Bühne agierenden Chors erschien alsbald die erste Darstellerin auf der Bühne. Ein blondlockiges Mädchen schleppte unter angestrengtem Stöhnen einen schweren Kübel von einer Seite der Aufbauten bis zur anderen
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