Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
Kulissenschiebern die Bühnendekoration geändert wurde und bunt kostümierte Gaukler zum Getrommel und Gepfeife einiger Musiker eine wilde Moresca tanzten. Mehrere Zuschauer gesellten sich unter dem beifälligen Gegröle der Übrigen mit ausgelassenen Sprüngen dazu.
»Ich finde es nicht frivol«, protestierte Laura. Sie sprach laut, um die Musik und das Geschrei der Tanzenden zu übertönen. »Wenn sie sich wirklich küssen, dann sehen wir es nicht, denn sie verschwinden ja hinter den Kulissen!«
»Ich glaube nicht, dass hier jemand irgendwen küsst. Doch das meinte ich gar nicht. Sondern eher sein ... hm, Kostüm. Der gute Antonio war schon früher kräftig, aber wenn er so ... ähm, nackt erscheint, mag man kaum entscheiden, wem er mehr ähnelt – Herkules oder Apoll.«
»Er sieht nicht anders aus als die Bauern auf der Terraferma, wenn sie bei Hitze im Feld den Pflug schieben oder die Sichel schwingen!«, behauptete Laura. »Bestimmt hat er im restlichen Stück ein Hemd an.«
Das hatte er tatsächlich, doch es stand bis zum Bauchnabel offen und ließ seine breite Brust, die im Schein der Fackeln wie polierte Bronze leuchtete, weitgehend unbedeckt. Im Laufe der folgenden Szene gab es ein Unwetter, bei dem der Donnerhall durch einen lebhaften Trommelwirbel und der Regenguss durch ein paar von oben niedergehende Wasserschwälle symbolisiert wurden. Darauf musste der durchnässte Diener das nun nutzlose Hemd ausziehen, um es zum Trocknen aufzuhängen, während er mit seinem Herrn über den Sinn und Nutzen einer zweiten Garnitur Dienstbotenkleidung diskutierte, womit seiner jungen Angebeteten wiederum Gelegenheit gegeben wurde, sich abermals von dem erschreckenden Geiz ihres künftigen Gemahls zu überzeugen.
»Jetzt kann ich verstehen, warum das Stück so erfolgreich ist«, meinte eine Frau neben Laura anerkennend. »Der Jüngling haucht ihm Leben ein.«
Hinter ihnen entstand Unruhe, und mehrere schrille Aufschreie waren zu hören. Es roch verbrannt, und aus einer Ecke stieg Rauch auf.
»Feuer!«, brüllte jemand.
Der Ausruf bildete den Auftakt eines Tumults, der sich wesentlich schneller ausbreitete als die Flammen, die in der hinteren Ecke der Halle über einen Bretterstapel leckten und an der Wand emporschlugen.
Die Leute schrien und rannten durcheinander und rempelten einander zur Seite in ihrem Bemühen, so schnell wie möglich den nächsten Ausgang zu erreichen. Da alle Tore bis auf eines, durch das man die Zuschauer eingelassen hatte, verrammelt waren, entstand sofort ein heilloses Gedränge, bei dem nicht wenige Menschen zu Boden gingen. Die Schwächeren wurden einfach beiseitegestoßen oder an die Wand geschleudert, während die anderen sich kreischend in das Getümmel stürzten und sich dabei gegenseitig bei der Flucht behinderten. Laura wurde hin und her geschubst und verlor in dem Durcheinander Haube und Beutel. Der aufsteigende Rauch wurde rasch dichter; er nahm den Atem und vernebelte die Sicht. Hustend eilte Laura an der Bühne vorbei und hielt nach Crestina Ausschau.
Sie stolperte über einen Gegenstand, den sie als Schmuckstück erkannte und unwillkürlich aufhob. Eine Kette mit einem Anhänger, die jemand verloren haben musste. Geistesabwesend schlang sie den Fund um ihren Gürtel. Gleich darauf wich sie mit einem erschrockenen Aufschrei zur Seite, als die Tochter des Seifensieders direkt vor ihr von der Bühne sprang und dann, ohne innezuhalten, weiterrannte und auf das Gewühl vor dem Ausgang zuhielt. Im Laufen riss sie sich die blonde Perücke vom Kopf, und Laura sah, dass es sich in Wahrheit um einen Knaben handelte, der kaum älter sein konnte als sie selbst. Ein alter Mann, in dem Laura den Ansager und den Darsteller des reichen Kaufmanns wiedererkannte, kroch fluchend auf Händen und Knien umher und tastete den Boden ab.
»Das Blut Christi!«, rief er ein ums andere Mal klagend aus. »Wo ist das Blut Christi?« Er holte keuchend Luft und rieb sich die Augen, aber er machte keine Anstalten, aufzustehen und sein Heil in der Flucht zu suchen. Laura wollte ihm aufhelfen, doch er stieß sie zur Seite. »Lass mich, ich muss das Blut des Erlösers finden!«
Laura irrte weiter und suchte inmitten der aufgescheucht hin und her laufenden Menschen nach Crestina, doch die Kräuterhändlerin war nirgends zu sehen. Stattdessen erkannte sie durch die vorbeiziehenden Rauchschwaden Antonio, der den Kübel schleppte, mit dem sich vorhin in der ersten Szene die Tochter des Seifensieders
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