Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
ausgestiegen und im Begriff, den schlaffen Körper hochzuheben. Mit einem wütenden Aufschrei setzte Antonio sich erneut in Bewegung, doch die querenden Boote hinderten sein Fortkommen und versperrten ihm die Sicht. Hätte er geahnt, dass der Mann lediglich übersetzen wollte, hätte er die Brücke benutzt und wäre vor ihm drüben gewesen! Das Wasser schien ihm ölig und schwer; es roch fischig und war überraschend kalt. Als er endlich die andere Seite erreicht hatte und sich triefend und keuchend die Stufen zur Fondamenta hochzog, erkannte er, dass er zu spät gekommen war. Zwar dümpelte noch die gesuchte Gondel an der Mauer, aber von dem Mann oder von Laura war nichts mehr zu sehen. Er blickte sich wild um, geblendet von dem grellen Feuerschein auf der anderen Kanalseite. Sogar bis hierher war die sengende Hitze auf der Haut zu spüren. Schattenhaft hoben sich die hin und her rennenden Gestalten vor dem Glühen der Feuersbrunst ab, Myriaden von Funken stoben durch die Luft und erhellten den Nachthimmel, dessen Saum über den Dächern in grellem Orange leuchtete. Auch am Teil des Kanalufers, das dem Brand gegenüberlag, waren die Menschen fieberhaft damit beschäftigt, alle hölzernen Teile der Gebäude zu nässen. Auf den Dächern standen Männer, die kübelweise Wasser über die Schindeln schütteten, um den vom Wind herübergetriebenen Funken keine leichte Beute zu bieten. Von überallher war Geschrei zu hören, angstvolle Rufe von Männern und Frauen und das Weinen von Kindern. In das Klagen und Schreien mischten sich wildes Hundegebell, das Kreischen von Katzen und das panische Blöken von Ziegen. Alles Leben am Rialto schien aufgescheucht und in Todesfurcht, und solange die Flammen zum Himmel schlugen, so wie jetzt, würden die Menschen nicht nur um ihr Hab und Gut, sondern auch um ihr Leben bangen müssen.
So viel Wasser, dachte Antonio zusammenhanglos. Die Stadt schwamm förmlich darin. Und doch gab es in jedem Jahr Brände. Manchmal war es nur ein Haus, das den Flammen zum Opfer fiel, manchmal aber auch ganze Straßenzüge. Die neuen Häuser waren zumeist aus Stein, doch sie hatten Dächer und Anbauten aus Holz. Schuppen und Ställe, Lagerhallen und Bootswerften – all das konnte binnen kürzester Zeit zu Asche verbrennen, dafür reichte die kleinste Unachtsamkeit.
Er hörte den unterdrückten Schrei, der sich von den anderen unterschied. Warum er anders klang, vermochte Antonio nicht zu sagen, doch in dem Moment, als er ihn vernahm, wusste er ohne jeden Zweifel, dass er von Laura stammte.
Ohne auf seine pitschnassen, herabsackenden Beinkleider zu achten, rannte er um die nächste Ecke in die dort befindliche Gasse, aus welcher der Schrei ertönt war. Im Licht einer Fackel, die in einer Halterung an einer der Hauswände steckte, erkannte er den Mann wieder, der sich über eine am Boden liegende Gestalt beugte und gleichzeitig mit ihr rang, als wolle er jede Gegenwehr im Keim ersticken. Der dunkle Umhang des Mannes fiel über sein Opfer, doch Antonio sah beim Näherkommen das feurige Haar, wie es in Wellen über das Pflaster züngelte, als besäße es eigenes Leben.
Laura wand sich schreiend im Griff des Maskierten und versuchte, sich zu befreien. Antonio war mit zwei Schritten hinter dem Fremden, packte ihn und riss ihn zurück. Er sah sofort, dass der Mann bewaffnet war. Das Schwertgehenk an seiner Seite zeugte von der tödlichen Länge seines Degens, und die blitzartige Schnelligkeit, mit der die Hand des Maskierten zum Heft der Waffe fuhr, war der Beweis dafür, dass er im Umgang damit erfahren war. Doch Antonio hatte nicht umsonst gelernt, mit dem Messer umzugehen. Seit er im Besitz seines wertvollen Dolches war, hatte er täglich damit geübt, immer wieder, nicht nur aus Freude an der Bewegung und an der geschmeidigen Präzision, mit der sich die Klinge führen ließ, sondern auch, weil er gewappnet sein wollte. Gegen Männer wie Cattaneo. Oder auch gegen diesen hier. Nie wieder wollte er sich von einem Patrizier im Zweikampf in die Schranken weisen lassen.
Er warf den Dolch von einer Hand in die andere, dann ließ er ihn mit der Rechten kreisen, bevor er ihn ansatzlos wieder zurück in die Linke gleiten ließ.
»Zieht doch«, sagte er. »Nur zu!«
Laura hatte sich stöhnend auf die Knie hochgestemmt und schob sich die schweren Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Antonio, gib acht!«
Er machte sich bereit zum Zustoßen, doch der Mann mit der Maske war schneller. Das tödliche Sirren, mit dem
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