Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
zu frieren, denn sie zitterte zwischen den einzelnen Hustenstößen, die ihren ganzen Körper erschütterten.
Antonio holte ein Stück Fleisch und hielt es ihr hin. Es roch appetitlich und triefte vor Fett.
»Magst du essen?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf und hustete erneut, und zu seiner Bestürzung sah er, dass dabei Blut auf ihre Lippen trat. Sie hatte schon oft nach dem Husten Schleim ausgespuckt, der mit Blutfäden durchsetzt war, doch das hier war reines Blut.
»Du solltest etwas essen«, sagte Antonio. »Bestimmt geht es dir besser, wenn du was im Bauch hast.«
»Ich habe keinen Hunger.« Cecilia hustete abermals, und auch diesmal spie sie Blut.
Mechanisch legte Antonio das Fleisch zur Seite und wischte ihr mit einem Zipfel ihres Gewandes den Mund ab. Dabei blieb eine Schmutzspur zurück, die sich bis zu ihrem Kinn zog. Wie sie alle besaß auch Cecilia keine Kleidung zum Wechseln und trug jahrein, jahraus dieselbe verfilzte Gamurra und darunter ein verschlissenes Unterkleid. Im Winter kamen ein dickes wollenes Wams und Beinlinge dazu, doch auch damit konnte sich ein so dürres Geschöpf wie sie kaum warm halten. Den letzten Winter hatten sie ein Zimmer zum Übernachten ergattert; einen Kamin gab es dort nicht, aber immerhin hatten sie feste steinerne Wände um sich gehabt und eine Kohlepfanne gegen die schlimmste Kälte. Den Winter davor hatten sie in einem zugigen Stall schlafen müssen, und seither hustete Cecilia.
Antonio betrachtete zweifelnd das Fleisch. Für ihn war unvorstellbar, dass jemand, der den ganzen Tag kaum mehr zu sich genommen hatte als ein winziges Stück Brot, keinen Hunger darauf haben konnte. Ihm selbst knurrte schon wieder der Magen, obwohl er erst vor zwei Stunden reichlich gegessen hatte.
Die Wellen klatschten hinter ihm an das mit Schilf bewachsene Ufer. Der sandige Lehm war unter seinen bloßen Füßen so heiß, dass er kaum an einer Stelle hocken bleiben konnte. Als er jedoch Cecilias Wange berührte, schien diese noch mehr zu glühen als der Boden.
Mücken umsummten ihn und taten sich an seiner Wunde gütlich, doch Antonio störte sich nicht daran. Manchmal stachen die Biester mehr, manchmal weniger, aber leben mussten sie alle damit.
Eine Fliege kam herangebrummt und setzte sich auf das Fleisch. Antonio scheuchte sie geistesabwesend fort und biss in das Bratenstück. Es gab keinen Grund, gutes Essen verkommen zu lassen. Wenn er es nicht aß, würden die Zwillinge es tun, oder der Schwarze, der ebenso wie er selbst immer Hunger zu haben schien. Valeria war weniger gierig nach Essen; sie ließ sich von ihren Freiern oft mit Nahrung bezahlen und war daher die meiste Zeit satt.
Antonio überlegte, ob er für Cecilia eine Orange besorgen sollte; diese Früchte liebte sie über alles. Er hatte noch ein wenig von dem Geld übrig, das er in der vergangenen Woche von dem Juden bekommen hatte. Das meiste hatte er – ebenso wie alles, was er vorher zusammengestohlen hatte – für die Miete bis zum Jahreswechsel gebraucht.
Er rieb sich die schmerzende Stelle über dem Ohr und fluchte, als er das verkrustete Blut unter seinen Fingerspitzen spürte.
Carlo war aufgestanden und näherte sich ihm.
»Cecilia?«, fragte er in dem ihm eigenen gutturalen Tonfall. Er machte eine Bewegung, als wollte er springen, und dabei deutete er auf das Kind.
»Du meinst, ob du für sie springen sollst?« Antonio zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht, ob sie’s überhaupt mitkriegt.«
»Wieso willst du für sie springen, aber nicht für mich?« Valeria warf eine Handvoll Lehm nach dem Schwarzen. »Ich habe dich schließlich getauft, mit echtem Wasser aus der Lagune, ein halbes Fass voll für deinen rabenschwarzen Kopf und deine Seele, die sicher noch viel schwärzer ist! Also bin ich so was wie deine Patin, und du musst mir gehorchen!«
Der Schwarze schüttelte den Lehm aus seinen Haaren und würdigte Valeria keines Blickes. Stattdessen schaute er Antonio mit seinen rätselhaften, tiefdunklen Augen an, genau wie an jenem Tag, als er hier bei ihnen aufgetaucht war. Er hatte Antonio auf diese seltsame Weise angeblickt, als würde er ihn kennen, und dann hatte er einen gellenden Schrei ausgestoßen und war hochgesprungen, mit beiden Beinen und aus dem Stand. Er hatte sich hochkatapultiert wie ein Geschoss, mit solcher Wucht und so weit hinauf in die Luft, dass Antonio fassungslos den Atem angehalten hatte, während der Schwarze wieder auf den Füßen landete und ihn triumphierend und
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