Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
nichts, doch in dem staubigen Dämmerlicht konnte sie sehen, dass seine Augen voller Tränen waren.
Wieder einmal empfing Veronica sie weinend und völlig aufgelöst. »Wir sind verloren, Laura! Es ist alles vorbei!« Dann fing sie an zu schluchzen und ließ sich kein Wort mehr entlocken, sosehr Laura sie auch bestürmte.
Laura drehte sich zu Oratio um, der neugierig im Hintergrund lungerte. »Verschwinde«, sagte sie. »Das hier geht dich nichts an.«
Er gehorchte mit schrägem, narbenlippigem Grinsen, entfernte sich aber nur bis zum Ende der Gasse, wo er sich mit überkreuzten Beinen auf das Pflaster hockte, ein erbärmliches Gesicht aufsetzte und mit aufgehaltener Hand die vorbeikommenden Passanten anbettelte.
Mansuetta kam aus der Küche gehinkt, das Gesicht bleich, die Haare aufgelöst.
»Was ist los?«, wollte Laura wissen.
»Ich kam vorhin mit Matteo und Veronica vom Markt zurück, und da hörte ich es.«
»Was? Und von wem?«
»Die Büttel waren hier. Da sie niemanden vorfanden, gingen sie zu Isacco, um nach uns zu fragen.
»Was wollten sie?«
»Sie haben Befehl, dich und Matteo abzuholen. Anscheinend hat diese verfluchte Nonne Ernst gemacht.«
»Was hat Isacco ihnen erzählt?«
»Er sagte, wir seien auf einer Festlandreise und kämen nicht vor morgen Mittag zurück. Damit hat er uns einen Aufschub verschafft, das war sehr geistesgegenwärtig von ihm.«
»Aber sie können doch nicht einfach ...«
»Doch«, sagte Mansuetta müde. »Isacco sagte, sie hätten ihm den schriftlichen Befehl gezeigt. Sie wollen morgen wiederkommen. Ich habe schon das Wichtigste gepackt. Eher sterbe ich, als dass ich zusehe, wie sie Matteo ins Waisenhaus stecken oder dich in ein Heim für ledige Mütter. Wir müssen fort, so schnell wie möglich. Woanders kannst du dich als Witwe ausgeben.«
»Aber wohin sollen wir denn gehen?«, jammerte Veronica. »Venedig ist eine Insel! Und auf der Terraferma herrscht Krieg!«
Laura ließ sich gegen den Türsturz sacken. In ihr drehte sich alles. Die Schatulle mit dem Armreif immer noch umklammernd, versuchte sie, sich mit der neuen Bedrohung auseinanderzusetzen, doch ihre Gedanken waren ein einziges konfuses Durcheinander.
»Messèr Zinzi ist tot«, sagte sie, nur um etwas von sich zu geben. »Er ist vorhin gestorben, als ich bei ihm war.«
Mansuetta nickte erschöpft. »Gehst du zu Isacco und Monna Elsa und sagst es ihnen, oder soll ich es tun?«
»Nein, ich erledige das.« Laura richtete sich auf. Sie war es Mosè schuldig, dass sie es Isacco selbst sagte. Und ihn wissen ließ, wie liebevoll sein Vater noch bis zuletzt über ihn gesprochen hatte.
Sie wollte es sofort hinter sich bringen. Vor allem aber wollte sie genau wissen, was die Büttel gesagt hatten.
Ohne anzuklopfen, stieß sie die Tür zum Nachbarhaus auf und betrat den Laden. Im dumpfen Zwielicht wirkte der überall herumstehende Trödelkram bedrohlich. Ein zusammengerollter Teppich hatte den Umriss eines liegenden Mannes, eine Kupferkanne mit Schnabel ähnelte dem Kopf eines Greises. Ein Lehnstuhl, über den Stoffe drapiert waren, sah aus wie ein hingekauerter Kapuzenmönch, und der Spiegel dahinter schien jedes überflüssige Licht im Raum zu schlucken, wie das hungrige Maul eines Wesens in der Wand.
Als die hohe, lang gezogene Stimme ertönte, fuhr Laura zusammen. Das war nicht Monna Elsa, sondern ein Mann, und der unverständliche Singsang, den er von sich gab, kam Laura auf vage Weise vertraut vor. Sie tat zwei Schritte in Richtung Küche und lauschte. Trotz der geschlossenen Tür war die Stimme gut zu hören, doch die Worte waren ihr fremd.
»Jitgadal vejitkadasch sch’mei rabah. B’allma di v’ra chir’usei v’jamlich malchusei, ’b’chjeichon, uv’jomeichon, uv’chjei dechol beit Jisroel, ba’agal u’vizman kariv, v’imru ...«
In diesem Tonfall hatte vorhin der Rabbi gebetet, und auch die Worte schienen ihr dieselben zu sein.
Zögernd schob sie die Tür auf und wurde einer Szenerie ansichtig, die ihren Schrecken zum Entsetzen steigerte. Monna Elsa saß in ihrem Lehnstuhl nahe beim Herd, ihrem Lieblingsplatz auch im Sommer. Ihr war immer kalt gewesen, sogar bei drückendster Hitze, und immer musste im Kamin ein Feuer brennen, damit sie nicht fror.
Doch nun würde sie nie wieder ein Feuer brauchen. Sie starrte Laura blicklos an, mit Augen, die in einem raschen Tod gebrochen sein mussten, denn ihrer erschlafften Miene schien noch eine Spur Überraschung anzuhaften, als könne sie nicht
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