Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
Doch wenn sie gemeinsam miteinander unterwegs waren, würden die Leute schnell argwöhnen, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zuging. Als Gruppe würden sie genau wie das wirken, was sie im Grunde immer noch waren: unbeaufsichtigte Waisen.
»Ich gehe so oder so von hier fort«, informierte Isacco sie. »Ob mit oder ohne euch. Ich habe keine Lust, mich wegen eurer Flucht einsperren zu lassen. Es wäre folglich nur zu eurem Besten, wenn ich euch auf eurer Reise begleite.« Er lächelte ironisch. »Es gibt ja nur einen Weg. Den übers Wasser auf die Terraferma, und dort ist die Auswahl derzeit auch nicht sonderlich groß.«
»Ich muss mich zuerst mit Mansuetta beraten«, sagte sie geistesabwesend, während sie zur Tür ging.
»Lass dir nicht zu lange Zeit. Der Tag wird schnell zu Ende gehen.«
Laura erkannte bald, dass es keiner Überlegungen bedurfte. Im Grunde hatten sie keine Wahl. Mansuetta und Veronica plädierten zudem beide dringend dafür, sich unbedingt Isaccos Schutz zu unterstellen.
Sie packten alles zusammen, was sie tragen konnten, und im frühen Morgengrauen brachen sie gemeinsam in eine ungewisse Zukunft auf.
Juli 1509
Der Priester verschwand in der Sakristei, während Laura und Veronica vor dem Altar niederknieten, um zu beten. Der Geistliche hatte ihren Wunsch, außerhalb der Messen zu einer Andacht einzutreten, skeptisch zur Kenntnis genommen, aber keine Versuche gemacht, es ihnen zu verwehren.
Die Cappella degli Scrovegni war ihnen als besonders schöne Andachtsstätte beschrieben worden, und so hatten Laura und Veronica diesen Ort rasch zu ihrer Lieblingskirche erkoren. Einmal waren sie auch schon in der Basilika des heiligen Antonius zur Messe gewesen, doch so prachtvoll der mächtige Bau mit seinen Kuppeln und den minarettartigen Türmchen auch war – mit dem Liebreiz der Kapelle konnte er nicht wetteifern.
Äußerlich ein unprätentiöser Backsteinbau und von alten Bäumen umgeben, war die Scrovegni-Kapelle durch ihr einzigartiges Inneres wie kostbarer Schmuck in einer schlichten Schatulle. Das Gebet war nur ein Vorwand dafür, hinterher in aller Ruhe an den Wänden entlangzugehen und die Gemälde zu bestaunen.
Laura konnte sich nicht sattsehen an den herrlichen Fresken des Malers, von dem sie nichts weiter wusste, als dass er ihr Herz anrührte. Sie war traurig und glücklich zugleich, wenn sie die leuchtenden Farben betrachtete, und sie wünschte sich in diesen Augenblicken mit solcher Inbrunst ihren Vater zurück, dass sie manchmal meinte, ihn neben sich zu spüren. Sie wusste, dass er diese Fresken irgendwann gesehen haben musste, denn er hatte ganz ähnlich gemalt, mit derselben überwältigenden Farbgebung, der plastischen Figurengestaltung und dem strahlenden Blau des Lapislazuli für die Himmelsgewölbe, die seine Szenerien überspannten.
Mehr als hundert Bilder aus dem Leben Jesu enthielten die einzelnen Zyklen in der Kapelle, und jedes einzelne von ihnen war von so überwältigender, zeitloser Schönheit, dass man sich kaum von ihnen losreißen konnte.
Veronica betete leise murmelnd weiter ihren Marienpsalter, während Laura aufstand und zu der nächsten Seitenwand huschte. So hatten sie es ausgemacht, damit der Geistliche nicht auf die Idee käme, ihnen wegen Neugier die Tür zu weisen. Solange eine von ihnen noch nicht mit Beten fertig war, konnte die andere die Fresken betrachten. Da Veronica nicht allzu viel auf kirchliche Kunst gab, blieb ihr das Beten und Laura das Betrachten vorbehalten.
Diesmal jedoch ging ihr Plan nicht auf, denn der junge Priester trat von der Seite an Laura heran und räusperte sich. Laura schrak zusammen; sie hatte ihn nicht kommen hören. Über die Schulter blickte sie ihn schuldbewusst an, doch zu ihrer Erleichterung lächelte er.
»Ich habe Euch schon öfter hier gesehen, Madonna. Ihr liebt wohl diese Gemälde sehr, nicht wahr?«
Spontan erwiderte sie sein Lächeln. »Über alle Maßen, Vater. Ich kann nicht genug davon bekommen. Der Maler, der dies vollbracht hat, muss ein großer Künstler sein!«
»Sein Name war Giotto di Bondone. Die Fresken sind schon sehr alt, genau zweihundert Jahre.«
Laura musterte die leuchtenden Farben und atmete tief durch. Was für ein Glück, dass in der ruhigen Abgeschiedenheit dieser Kirche, anders als im Freien, die Fresken so lange Zeit überdauern konnten! Ob die Malerei in dem Haus, in dem sie aufgewachsen war, in zweihundert Jahren noch ebenso schön aussehen würde? Sie dachte an den
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