Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
nicht mehr der venezianischen Regierung. Dort wären wir in Sicherheit.«
»Soll das bereits ein Abschied sein?«
Laura nickte. »Wir müssen schnellstmöglich aufbrechen und werden daher nicht zur Totenwache kommen können, und natürlich auch nicht zur Seelenmesse. Monna Elsa soll doch christlich bestattet werden, oder?«, schloss sie verunsichert.
»Natürlich«, sagte Isacco. Er wandte sich zu seiner toten Mutter um, als fiele ihm gerade ein, dass er etwas vergessen hatte. Sachte fuhr er mit der flachen Hand von oben nach unten über ihr Gesicht und drückte ihr die Augen zu, bevor er sich entschlossen zu Laura umwandte. »Ich werde mit euch kommen.«
Verblüfft starrte sie ihn an. »Das ist ... Das kannst du nicht tun! Deine Eltern sind heute gestorben, du musst sie unter die Erde bringen! Es sind Formalitäten zu erledigen, du musst ...«
»Ich muss gar nichts. Die Contrada wird sich um alles kümmern, das tun sie immer, wenn sonst niemand da ist.«
»Trotzdem. Es wäre nicht richtig.« Die Vorstellung, er könne mit ihnen gehen, rief zwiespältige Gefühle bei ihr hervor. Einerseits war der Gedanke verlockend. Er war ein Mann, und das konnte zu ihrem Schutz beitragen. Drei junge Frauen und ein Knabe allein auf Reisen – das war in dieser unsicheren Zeit mit Gefahren verbunden, über die sie lieber gar nicht erst nachdenken mochte. Auf der anderen Seite empfand sie leises Unbehagen, dass er sich auf diese Weise für sie aufopfern wollte. Warum sollte er das Risiko auf sich nehmen, wenn er doch hier alle Sicherheit auf Erden haben konnte? Vermutlich war er jetzt reich, denn sein Vater hatte ihm bestimmt sein ganzes Vermögen vererbt. Er konnte den ihm verhassten Laden aufgeben, den er ohnehin eher seiner Mutter zuliebe aufrechterhalten hatte, und er konnte sich endlich dem widmen, woran sein ganzes Herz hing: den Studien der Wissenschaften und dem Schreiben und Übersetzen von Büchern. Es gab keinen triftigen Grund, warum er sich mit ihnen in Wagnis und Ungewissheit stürzen sollte.
Sie setzte an, ihm zu sagen, dass sie den Plan nicht befürworten konnte, doch er kam ihr zuvor.
»Ich sehe, was du denkst«, meinte er. »Du glaubst, ich will dir einen Gefallen tun. Aber dem ist nicht so. Denk ein bisschen weiter, Laura! Die Büttel werden sofort wissen, dass ich euch vor ihnen gewarnt habe. Das wird auf mich zurückfallen.« Er verzog das Gesicht zu einem grimmigen Lächeln. »Sie haben mir sogar ausdrücklich und bei Strafe verboten, euch davon zu erzählen, denn in dem Fall stand zu befürchten, dass du dich mit Matteo verstecken würdest, so wie du es schon einmal getan hast, um dich der behördlichen Aufsicht zu entziehen.«
»So war es nicht«, protestierte sie. »Ich musste untertauchen, weil ...« Sie stockte. Es ging ihn nichts an, warum sie damals weggelaufen war, geschweige denn, dass sie ein halbes Jahr mit Dieben und einer Hure gelebt hatte. Rasch dachte sie nach. Er hatte recht. Die Behörden würden ihm Ärger machen, sobald herauskam, dass sie weg waren.
»Es gibt noch einen guten Grund, warum ich euch begleiten sollte«, sagte er mit einer Spur von Triumph in der Stimme. »Ich habe Geld. Ich kann mir holen, so viel ich will, heute noch. Vater hat mir erzählt, wo es ist.« Er hielt inne und wurde rot. »Er hat es mir schon vor Jahren gesagt, für den Fall, dass ...« Immerhin besaß er den Anstand, den Satz nicht zu Ende zu führen. Offenbar war ihm soeben aufgegangen, dass er seinem Vater all die Jahre über nicht gerade ein dankbarer Sohn gewesen war.
Sie wollte ihm entgegnen, dass sie ebenfalls Geld besitze, doch außer einem resignierten Seufzer brachte sie nichts heraus. Sie hatte sich und Mansuetta tatsächlich vermögend gewähnt, jedenfalls so lange, bis sie herausgefunden hatte, was ein ordentliches Haus mit Geschäftsräumen an Jahresmiete kostete. Mittlerweile war ihr völlig klar, dass sie mit dem verfügbaren Geld nicht allzu weit kommen würden. Ganz zu schweigen davon, wie leicht sie ausgeraubt werden konnten, wenn sie ohne männlichen Schutz reisten.
Oratio und Tomàso konnten sie unmöglich mitnehmen, denn das hätte bedeutet, für zwei ständig hungrige Halbwüchsige zusätzlich die Verantwortung übernehmen zu müssen. Die beiden waren zwar mit allen Wassern gewaschen und mochten sich hervorragend in jeder Lebenslage allein durchschlagen, und als Beschützer waren sie sicherlich geeigneter als ein Marrane, der besser mit Büchern als mit Waffen umgehen konnte.
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