Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
fassen, dass es mit dem Sterben so schnell gegangen war.
Vor ihr auf den Dielenbrettern stand Isacco, den Kopf geneigt und in schnellen, leichten Verbeugungen den Oberkörper vor- und zurückbewegend. Er trug eine Kippa, und aus seinem Mund drang in einem Strom von Wörtern das Totengebet für seine Mutter.
»Be’allmaja, v’imru: Amein. Je heih schlahmah rabbah min schmajah, ve chjim aleinu ve al kol jisroel v’imru: Amein.«
Laura zuckte zusammen, als Isacco drei Schritte rückwärts tat und sich nach links und dann nach rechts beugte. »Oseh«, murmelte er dabei. »’Hu b’rachamah ja’aseh.« Er beugte sich nach vorn. »Ve al kol jisroel v’imru: Amein. Oseh schalom bim’ro’mav, hu b’rachamah ja’aseh schalom aleinu, ve al kol jisroel v’imru: Amein.«
Laura wich zurück, beide Hände gegen den Mund gepresst. Sie stolperte über einen der Gegenstände im Laden, und aufgeschreckt durch das Poltern fuhr Isacco zu ihr herum.
»Es tut mir leid«, stammelte sie. »Monna Elsa ... Deine arme Mutter ... Es tut mir so leid! Ich wusste ja nicht ... Mein Gott, Isacco, wie furchtbar!«
Er zog sich die Kippa vom Haar und legte sie in den Schoß seiner Mutter. »Ich fand sie vorhin. Sie saß tot in ihrem Stuhl. Davor war sie noch ganz wach und lebendig. Es muss sehr rasch gegangen sein.« Er war unnatürlich bleich, und seine Augen waren weit aufgerissen, als könne er immer noch nicht recht glauben, was geschehen war.
Laura schluckte krampfhaft. »Isacco ... Ich muss dir eine weitere schlimme Nachricht bringen. Dein Vater ... Er starb vor kaum einer Stunde. Ich war bei ihm. Es ... ging ganz schnell. Wie bei deiner Mutter.« Die grausige Absurdität des Ganzen wurde ihr bewusst; das Geschehen erschien ihr immer noch unfassbar. Ein halbes Menschenleben lang war das alte Ehepaar getrennt gewesen. Monna Elsa hatte ihren Mann gehasst und zurückgewiesen, all die Jahre. Und dann starb sie in derselben Stunde wie er. Fast so, als hätte sie nun ihre Aufgabe im Leben erfüllt. Oder ihre Rache zu Ende geführt. Eine Rache, deren letzter Vollzug in ihrer beider Sterben bestanden hatte.
Laura wandte den Kopf zur Seite, weil sie nicht länger in die toten Augen der Frau schauen mochte. »Ich wollte dich nicht in deinem Gebet stören.«
»Hör zu, falls du denkst ...«
»Ich denke nichts. Es ist dein gutes Recht, ein hebräisches Gebet zu sprechen. Ich meine sogar, es kann nichts schaden, denn schließlich wart ihr früher Juden.«
»Es war Aramäisch.«
»Was?«, fragte sie irritiert.
»Das Gebet. Es war nicht Hebräisch, sondern Aramäisch. Die Sprache von Jesus Christus.«
»Oh. Ach so. Aber es war ein jüdisches Gebet, oder?«
Er zuckte mit den Achseln. »Und wenn schon. Die Christen haben kein so schönes Gebet für die Toten wie das Kaddisch .«
»Ich verstehe dich.« Sie holte Luft. »Es wäre jedoch angemessen, wenn du auch für deinen Vater betest, Isacco. Er hat dich so sehr geliebt!«
Er senkte den Kopf, und sie konnte sehen, wie es in seinem Gesicht arbeitete. Die verschränkten Hände vor seiner Brust zitterten. »Danke für die Botschaft«, sagte er leise. »Ich werde alles bedenken.«
Sie wollte sich wieder zurückziehen, doch dann fiel ihr ein, dass sie ihm noch dringende Fragen zu stellen hatte.
»Isacco, Mansuetta erzählte mir, dass die Büttel hier waren.«
Er nickte stumm.
»Was haben sie gesagt?«
Er berichtete ihr das, was sie bereits von Mansuetta wusste.
»Und sonst? Haben sie sonst noch etwas gesagt, was von Bedeutung für uns sein könnte?«
»Nein, ich habe euch alles erzählt.«
»Danke, dass du für uns gelogen hast.« Laura zögerte. »Wir wollen weg. Wohin, wissen wir noch nicht, aber es wird sich ein Weg finden.«
»Du hättest mich heiraten sollen. Wenn du von Anfang an zugestimmt hättest, wärst du jetzt meine Frau, und all diese Probleme hätten sich gar nicht erst ergeben.« Seine Augen verengten sich. »Wir könnten immer noch heiraten!«
»Dafür bleibt keine Zeit mehr. Die Büttel werden sicher morgen wiederkommen.«
»Ich könnte euch verstecken, bis wir alle Formalitäten erledigt haben.«
»Das hat keinen Zweck. Sie würden uns finden. Oder die Nachbarn würden uns verraten. Das ist viel zu gefährlich.«
»Auf der Terraferma herrscht Krieg, dort ist es ebenfalls gefährlich.«
»Nicht überall. Padua und Vicenza beispielsweise haben sich kampflos dem Kaiser ergeben, dort leben die Leute weiter wie immer. Zudem unterstehen diese Städte jetzt
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