Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
Löwen in ihrem alten Zimmer und musste mit einem Mal gegen die Tränen ankämpfen. Auch das war, so hatte sie inzwischen festgestellt, eine Begleiterscheinung ihres neuen Zustandes. Sie hatte weit näher am Wasser gebaut als sonst.
»Der Gründer der Kapelle, Enrico Scrovegni, hat die größten Künstler seiner Zeit verpflichtet, um das Innere angemessen zu schmücken«, erzählte der junge Priester mit halblauter Stimme. Er wies auf das marmorne Grabdokument hinter dem Altar, das den Kirchenstifter in ruhender Position verewigte.
»Giotto war übrigens auch ein begnadeter Architekt«, fuhr er fort. »Er hat maßgeblich das herrliche Ensemble bei Santa Maria del Fiore in Florenz mitgestaltet. Sein Glockenturm ist einzigartig!«
Der Priester machte aus seinem Enthusiasmus keinen Hehl. Er hatte ein schmales, kluges Gesicht. Seine Gestalt unter dem Priestergewand war schlank und aufrecht, seine Miene offen und fröhlich. Er war noch recht jung für eine eigene Pfründe, kaum Mitte zwanzig; vermutlich handelte es sich bei ihm um den nachgeborenen Sohn eines höhergestellten Adligen.
»In Florenz war ich leider noch nicht«, sagte Laura.
»Woher stammt Ihr? Wartet, lasst mich raten: Ihr seid Venezianerin.«
Sein verschmitztes Lächeln entlockte Laura ein Kichern, doch sofort hielt sie sich die Fingerspitzen vor den Mund, als ihr aufging, dass dies nicht der rechte Ort für ausgelassene Heiterkeit war. Veronica unterbrach sich in ihrem Gebet und blickte sich stirnrunzelnd zu ihr um, doch der junge Geistliche nahm es mit freundlicher Gelassenheit. »Eure Sprache verrät Euch sofort als Kind der Lagune«, meinte er freimütig. »Daher kommt es auch, dass ich Euch erst seit ein paar Wochen sehe, denn wärt Ihr bereits länger in der Stadt, hätte ich Euch bestimmt schon früher hier angetroffen.« Er musterte sie nicht ohne Neugier. »Ihr kommt immer ohne Eltern und ohne Gemahl.« Es war nicht als Frage formuliert, doch Laura entging nicht, dass er eine Antwort erwartete. Und eine solche stand ihm zu, denn zweifellos hatte er ein Recht, mehr über die neuen Schäfchen seiner Gemeinde zu erfahren. Schon in den vorangegangenen Gottesdiensten waren ihr die forschenden Seitenblicke aufgefallen, mit denen er sie und ihren kleinen Tross bedacht hatte. Sie war zweimal zur Messe hier gewesen, jeweils mit Mansuetta, Matteo und Veronica. Isacco hatte keinerlei Anstalten gemacht, mit zur Kirche zu gehen. Ihm sei nicht wohl, hatte er jedes Mal erklärt, wenn es Zeit für die Sonntagsmesse gewesen war.
»Ich bin ... ähm, ich lebe im Witwenstand. Ich bin mit meiner älteren Schwester und meinem Bruder nach Padua gekommen. Veronica ...«, Laura deutete zum Altar, »... ist unsere Magd. Und dann gibt es noch meinen ... ähm, Vetter, doch der konnte bisher nicht an den Messen teilnehmen, weil er krank war.«
»Ihr seid sehr jung für eine Witwe.«
»Mein Ga... Gatte fiel bei Agnadello«, brachte sie heraus. Es klang wie das Gegacker eines verstörten Huhns. Sie schluckte heftig, während sich in ihre Verlegenheit jäh die schmerzliche Trauer mischte, die sich unweigerlich immer dann einstellte, sobald sie an Antonio dachte.
Der junge Geistliche betrachtete sie bedauernd. »Das tut mir sehr leid«, wiederholte er.
Laura nickte mühsam. »Habt Dank für Eure Anteilnahme, Vater.«
»Es erfordert Mut, in diesen unsicheren Zeiten die Lagune zu verlassen«, sagte er.
»Wir hörten, dass es in Padua den Menschen unter dem Kaiser nicht schlechter geht als sonst«, widersprach sie.
»Das ist zweifellos richtig, doch rechnen wir täglich damit, dass vor den Toren der Schlachtruf San Marco ertönt.«
»Ihr meint, die Serenissima wird Padua zurückerobern wollen?«, fragte sie unbehaglich.
»Natürlich.«
Sie dachte kurz nach. »Nun, das mag sein. Wenn aber die Truppen des Kaisers und des Franzosenkönigs stattdessen weiter bis zur Lagune vordringen und Venedig selbst nehmen, ist es hier unter den Besatzern zweifellos sicherer als im Herzen von San Marco.«
Er lächelte überrascht. »Das ist klug gedacht, Madonna. Also kamt Ihr aus Gründen der Sicherheit hierher?«
Sie präsentierte die Ausrede, auf die sie und die anderen sich für solche Fragen geeinigt hatten.
»Mein Vetter Stefano hat einen Nachlass abzuwickeln, und da er das männliche Oberhaupt der Familie ist, hielt er es für besser, uns mitzunehmen, damit wir nicht ohne Schutz zurückbleiben.«
»Ah, Ihr seid also nur vorübergehend in Padua.«
»Sobald die
Weitere Kostenlose Bücher