Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
habe ihn der Nonne mitgegeben, so wie Euer Gatte es befohlen hat.«
Laura starrte sie an, beide Fäuste gegen ihr jagendes Herz gepresst. »Welcher Nonne?«
Die Magd wirkte verunsichert. »Sie sagte, sie käme von Messèr Bragadin. Er habe befohlen, dass der kleine Matteo zu ihm gebracht werde, weil auf dem Schiff, das er ausgesucht habe, alle Kinder besonders untersucht werden müssten. Wegen der Pest. Er sollte gleich mitkommen, es würde nicht lange dauern.« Sie schluckte. Offenbar ging ihr gerade auf, dass sie vielleicht einen Fehler begangen hatte. »Sie war eine vornehme Nonne«, verteidigte sie sich. »Sauber und von Adel, das sah man sofort.«
»Wie sah sie aus? Hatte sie pechschwarzes Haar und grüne Augen? Ein Gesicht wie die leibhaftige Madonna?«
Laura merkte an der erschrockenen Miene der Magd, dass die Beschreibung zutraf. Sie drehte sich auf dem Absatz um und rannte los, ohne einen Gedanken an ihre Schwangerschaft zu verschwenden. Wenn sie schnell war, würde sie die Gondel noch erreichen können.
Als Kind war sie oft durch die Gassen gelaufen, war Windungen gefolgt und über Brücken gerannt, und sie hatte sich einen Spaß daraus gemacht, die Boote, die eben noch am Haus ihrer Eltern vorbeigefahren waren, an der nächsten Kanalbiegung entgegenkommen zu sehen. Sie hatte den verdutzten Gondolieri gewunken und war weitergerannt, um sie an der nächsten Kurve erneut abzufangen, denn sie kannte jeden Winkel dieses Sestiere wie ihr eigenes Zimmer. Jeden Sottoportego, jede Calle, jeden Campo und jeden noch so winzigen Cortile. Sie dachte nicht groß darüber nach, während sie rannte. Sie lief leichtfüßig und mit weiten Schritten. Auf halber Strecke stieß sie auf eine Mauer, die früher noch nicht hier gewesen war. Keuchend blieb sie stehen und ergründete ihre Möglichkeiten, bis sie darauf kam, dass es nur eine einzige gab. Sie streifte die dünnen, vom Rennen ohnehin längst zerfetzten Seidenschuhe von den Füßen, nahm Anlauf und sprang an der Wand hoch. Mit beiden Händen packte sie die Mauerkrone und zog sich mit einem raschen Klimmzug hoch. Oben balancierte sie bis zum nächsten Dach, wo sie sich umschaute und sofort erkannte, dass sie hinauf- und an der anderen Seite wieder hinabklettern musste, um den Kai zu erreichen, auf dem es weiterging. Ohne zu zögern, machte sie sich ans Werk. Sie erklomm die Wand über die Auskragungen und Simse, von denen an diesem wie auch an den meisten anderen Häusern in der Stadt etliche vorhanden waren. Oben auf dem Dach lösten sich Ziegel unter ihren Füßen; sie rutschte weg und drohte zu stürzen. Im letzten Moment fing sie sich wieder und klammerte sich an einem Schornstein fest. Sie kletterte auf die Altana, lief quer über die hölzerne Fläche und schwang sich an der anderen Seite wieder hinunter. Vom oberen Fassadenkranz ließ sie sich auf die darunter befindliche Brüstung herab, danach auf einen tiefer gelegenen Balkon, von dem aus sie auf die Fondamenta sprang.
Das letzte Stück dieses Weges führte über eine geschwungene Brücke. Laura flog förmlich hinüber und erreichte das schmale Uferstück, wo die Gondel in wenigen Augenblicken auftauchen würde. Und dort war sie auch schon!
»Matteo!«, schrie sie, so laut sie konnte.
Der Vorhang an der Felze bewegte sich.
Laura holte Luft für einen weiteren Schrei. »Matteo!«
Das Abdecktuch wurde weggezogen. Drei Menschen befanden sich in der Felze. Arcanzola und Giacomo Cattaneo hatten Matteo in die Mitte genommen. Mit vollkommen argloser Miene saß der Junge dort, und als er Laura auf der Fondamenta stehen saß, lächelte er. »Laura! Wie kommst du denn hierher?«
Er zuckte zusammen, als er merkte, dass etwas nicht stimmte. Es gehörte nicht viel dazu, es zu erkennen, denn Cattaneo hatte seinen Dolch gezogen und presste dem Jungen die Schneide an die Kehle.
Laura wich zurück. »Nicht«, stieß sie hervor. »Bitte nicht!« Sie blickte sich wild um. Es mussten doch Leute unterwegs sein, die das hier mitbekamen! Doch die einzigen Menschen, die sie auf der Fondamenta sah, waren zwei weinende Kinder, die offenbar ihre Mutter verloren hatten. Lauras Blick glitt weiter und traf auf eine alte Frau, die am Fenster eines Hauses eine Pestfahne befestigte und dann rasch verschwand. Sonst war niemand zu sehen. Die Menschen hatten zu viel Angst vor der Seuche. Wer konnte, blieb zu Hause.
»Laura«, sagte Arcanzola freundlich. »Steig zu uns in die Gondel. Dann wird Matteo nichts geschehen.«
»Laura?«
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