Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
Mädchen zu verschleppen und zu töten?«
Querini lachte rasselnd. »Du lieber Himmel, nicht doch! Ich wollte dich nicht töten. Ich wollte einfach nur nachschauen ...« Er brach ab und rang nach Luft.
Sie fuhr zusammen wie unter einem Schlag. »Ihr wolltet nachschauen, wie ich aussehe? Ob ich behindert bin, wie Mansuetta?«
Ein erneutes Schulterzucken, gefolgt von mühevoll gekeuchten Worten. »Etwas in der Art, ja.«
»Und danach ... war ich Euch gleichgültig?« Mit einem Mal war ihre Stimme wie die eines Kindes, hell und unsicher. Sie spürte, wie Antonio seine Umarmung verstärkte, und plötzlich wollte sie nur eines: nach Hause gehen.
»Du warst nur ein Mädchen«, sagte Querini. »Von perfekter Schönheit, aber ein Mädchen. Was sollte ich für dich empfinden? Ich kannte dich doch gar nicht. Und dass Zuane sich in dich verliebte, war eine äußerst unheilvolle Entwicklung, denn er war dein Bruder. Ich fürchtete eine Wiederholung dessen, was einst mir geschah.« Querini hustete, und als er schließlich fortfuhr, war seine Stimme kaum noch zu verstehen. »Ich gestehe aber, es hat mich sehr glücklich gemacht, dass du zu Bragadin fandest. Er war ...« Querini besann sich und sprach Antonio direkt an. »Ihr wart mir wirklich wie ein Sohn, Antonio. Ich wünschte ...« Abermals versagte ihm die Stimme, und wieder folgte ein Hustenanfall. Diesmal brach ein ganzer Schwall Blut aus seinem Mund hervor und nässte das Laken. Danach kehrte Schweigen ein. Der Mönch war von seinem Schemel aufgestanden und ans Bett geeilt. »Er ist besinnungslos«, sagte er. »Und er wird ganz gewiss nicht wieder erwachen. Was immer er Euch in der Vergangenheit angetan hat – er hat es hiermit gebüßt. Ihr solltet nun gehen.«
Laura senkte den Kopf und trat von der Tür zurück. Antonio legte den Arm um ihre Schultern und führte sie zur Pforte. Sie schlugen um die draußen liegenden Toten einen großen Bogen und gingen weiter zur Fondamenta, wo er sein Boot vertäut hatte. Sie schwiegen beide, aber für Laura war es ein Schweigen, dem Frieden innewohnte. Alles war gesagt, die offenen Rechnungen waren bezahlt.
Antonio half Laura beim Besteigen der Gondel und wartete, bis sie in der offenen Felze Platz genommen hatte. Sie schaute zu ihm auf und betrachtete ihn. Sein Gesicht war ernst, aber im Sonnenlicht strahlten seine Augen wie heller Bernstein. Ein zögerliches Lächeln trat auf seine Lippen, als er auf sie niederblickte.
»Alles in Ordnung?«, fragte er sanft.
Sie nickte stumm. Ja, es war alles in Ordnung. Sie wusste es mit allen Fasern ihres Seins, denn sie konnte wieder Pläne für die Zukunft schmieden, das war ihr vorher nicht möglich gewesen. Vor ihrem geistigen Auge entstand ein Bild, und es zeigte ihr Haus, so wie es sein würde, wenn Tiziano mit den neuen Fresken fertig war. Laura konnte es in allen Einzelheiten vor sich sehen: Eine vertraute Ansammlung von Fabelwesen, bestehend aus Einhorn, Elefant und Drache, alle miteinander umgeben von einem Garten mit voll erblühten Rosen, denen man erst dann anmerkte, dass sie gemalt waren, wenn man mit dem Boot direkt am Haus vorbeifuhr.
Das alles würde Wirklichkeit werden.
In ihrem Leib bewegte das Kind sich kräftig, und sie legte beide Hände auf die Wölbung, als könne sie ihrem Sohn auf diese Weise beteuern, dass nun alles gut werden würde.
Während Antonio das Ruder in die Forcola hängte, bemerkte sie ein Pestboot, das sich in nicht allzu weiter Entfernung auf dem Canalezzo näherte. Antonio hatte es ebenfalls gesehen. Eilig stieß er die Gondel von der Fondamenta ab und begann zu rudern. Rasch ließen sie den Palazzo hinter sich, aber bevor sie die nächste Biegung erreichten, blickte Laura ein letztes Mal zurück.
An der Brüstung der Loggia flatterte die schwarze Fahne im Wind, so wie an zahlreichen anderen Häusern am Kanal. Das Pestboot hatte angelegt, und die Leichensammler gingen an Land. Es gab noch einen herzzerreißenden Moment, als die Tücher fortgezogen wurden und bei einem der Toten ein blonder, blutbeschmierter Haarschopf zum Vorschein kam. Schaudernd blickte Laura zur Seite, zwang sich dann aber, wieder hinzusehen, während Zuane zu den übrigen Körpern auf das Boot geworfen wurde.
Leb wohl, mein Bruder, dachte sie.
Das Geschehen geriet außer Sicht, als ihre Gondel die Kanalbiegung erreichte. Lauras Blick ging zu Antonio, der sie unverwandt anschaute, während er breitbeinig auf der Abdeckung des Bootes stand und ruderte. Liebe weitete
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