Die Landkarte der Finsternis
denen sie sich vor Lachen biegen. Elena grüÃt sie im Vorübergehen. Wir nehmen uns zwei Tabletts vom Beistellwagen und bedienen uns am Tresen; dann suchen wir uns einen Platz am Fenster, dessen dichtgewebte Coutilvorhänge das staubige Sonnenlicht nur gefiltert durchlassen.
»Deine Kollegen sind ja gut drauf«, flüstere ich Elena ins Ohr.
»WeiÃt du, Kurt, das Lachen ist die zweite Natur des Afrikaners«, erklärt sie mir, und die Art, wie sie meinen Namen ausspricht, geht mir durch Mark und Bein. Sie entschuldigt sich für das karge Mahl und erklärt mir, dass die StraÃen unsicher, die Ãberfälle auf Lebensmittelkonvois zahlreich sind und die Versorgung daher auf dem Luftweg erfolgt. Weil es aber nur ein einziges Transportflugzeug für alle auf dem Landweg nicht zugänglichen Camps gibt und kein fester Turnus existiert, komme es schon einmal vor, dass sie wochenlang ohne Nachschub blieben â weshalb die Lagerleitung eine drastische Reduktion der Alltagskost angeordnet habe. Im Vergleich zu dem fürchterlichen FraÃ, den meine Entführer mir vorgesetzt haben, wäre es einfach lächerlich, wenn ich jetzt allzu wählerisch beim Essen wäre, beruhige ich sie.
»Oh, das kann ich mir denken, du Armer!«, antwortet sie seufzend und legt ihre Hand auf meine. Die Berührung ihrer Finger, der zarte Moschusduft, den ihre Haut verströmt, geben mir auf merkwürdige Weise Halt, und ich hoffe insgeheim, dass sie ihre Hand nicht gleich wieder wegziehen wird.
Nach dem Essen macht Elena mit mir einen Rundgang durch das Camp. Danach brechen wir zur Besichtigung einer gigantischen Baustelle auf, die sich einige Hundert Meter jenseits der Einzäunung erstreckt. Es handelt sich, wie Elena mir erzählt, um ein Pilotprojekt: ein Flüchtlingsdorf, das die von ihren Ländereien Vertriebenen aufnehmen soll. Eine breite StraÃe führt mitten durch die Baustelle. Rechts und links wachsen Massivhäuser empor, von manchen sind bisher nur die Fundamente zu sehen, andere sind schon beim Innenausbau. Es fehlen noch die Holzelemente und die Bedachung, aber die Arbeiten scheinen zügig voranzugehen, denn die Arbeiter tummeln sich zu Dutzenden inmitten eines Durcheinanders quietschender Schubkarren und Metallsägen.
»Die Flüchtlinge brauchen mehr als nur medizinische Grundversorgung und Nahrung«, erklärt Elena. »Sie wollen auch ihre Würde zurück. Deshalb bauen sie hier ganz allein ihre Stadt auf. Natürlich sind die Architekten und die Bauleiter aus Europa gekommen, um das Ganze anzuschieben, doch die Âeigentliche Arbeit machen die Flüchtlinge selbst. Sie sind so froh, eine Beschäftigung zu haben und ein Projekt, das Zukunft hat. Etwas weiter im Süden haben wir Viehfarmen gebaut und Obstplantagen angelegt. Die Farmen werden von Witwen geführt, die so den Lebensunterhalt ihrer Familien bestreiten. Die Plantagen haben wir Hirten gegeben, die auf Landwirtschaft umgesattelt haben. Und es scheint ihnen zu gefallen. Bald sind die ersten Wohnungen bezugsfertig; dann wird das Dorf zum Leben erwachen. Für den Anfang werden dort dreiundvierzig Familien einziehen. Bis Jahresende haben wir dann weitere fünfundsechzig Familien untergebracht. Ist das nicht fantastisch? Vor zwei Jahren, als wir das Camp neu errichtet haben, gab es im Umkreis von hundert Kilometern nicht eine einzige Hütte. Hier war das Tal der Finsternis. Und sieh nur, wie gut jetzt alles läuft. Ich bin so stolz darauf.«
»Und zu Recht, dazu kann man dich nur beglückwünschen! Das ist wirklich eine groÃartige Leistung.«
»Das Dorf soll Hodna City heiÃen. Auf Arabisch bedeutet das so viel wie âºRückkehr des Friedensâ¹.«
»Ein hübscher Name. Er klingt jedenfalls gut.«
Elena strahlt nur so vor lauter Begeisterung, während sie mich über die Baustelle führt. Ihr kindlicher Enthusiasmus und ihre glänzenden Augen bilden das reinste Lichterballett.
»Da hinten haben wir noch eine Schule. Drei Klassen mit jeweils vierzig Schülern und sechs einheimischen Lehrern, alles Flüchtlinge. Und einen FuÃballplatz, mit Toren aus Holz und Tuffstein. Das musst du erleben, wie die kleinen Jungs nach dem Unterricht zum Platz stürmen, um bloà kein Spiel zu versäumen! Wir versuchen, den Menschen hier ein ganz normales Leben zu bieten. Und sie sind bereit dafür. Sie haben schon vergeben.«
Sie
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